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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ausgestoßen, und von diesem Rücken aus breitete sich der Meeresboden immer weiter nach Osten und Westen aus. Entlang dieser Schwelle stiegen auch hin und wieder Berggipfel als Inseln über die Wasseroberfläche empor; sie ergaben eine lange Kette, zu denen die Azoren, die Kanaren, St. Helena, Fernando do Noronha und Tristan da Cunha gehören, und bildeten zusammen eine gezackte Linie, die von Jan Mayen im hohen Norden bis zur 9200 Seemeilen weiter südlich gelegenen Bouvet Island lief, 5 wurden aber im Lauf der Zeit ebenfalls auseinandergedrängt und endeten schließlich in ferneren Regionen des neuen Ozeans – an Stellen, an denen sie heute noch, abgeschieden und zumeist unbewohnt, liegen.
    Und das Sichspreizen und Sichöffnen hielt immer noch an. Nach weiteren fünfzig Millionen Jahren und mehr begannen die nördlichen und mittleren Teile des Rückens die Südküsten Afrikas und Südamerikas zu bilden und voneinander zu trennen. Zuerst kam es zu einem erneuten jähen Einsetzen vulkanischer Aktivität – Basalt floss aus zahllosen Ausbruchkanälen hervor und erstarrte zu Flutebenen. Doch dann setzte auch hier, in der südlichen Hemisphäre, eine Separation ein, wobei allerdings heute nicht ganz klar ist, ob diese mit den vulkanischen Spasmen und Stößen zusammenhing. Und in dieser Region hatte der Prozess in der Tat Ähnlichkeit mit dem Sichöffnen eines Reißverschlusses und ging auch ähnlich schnell vonstatten. Die Aufspaltung pflanzte sich in südlicher Richtung fort, ein Küstenstrich nach dem anderen wurde in rascher Folge erfasst. Nigeria löste sich von Brasilien; die Becken, die eines Tages auf der einen Seite den Kongo und auf der anderen den Amazonas aufnehmen würden, trennten sich. Die Flussbasalte am Südende von Pangäa teilten sich in die riesigen, heute in Südafrika liegenden Etendeka Traps, über deren Rand unter anderem die Victoria Falls hinabstürzen, und die Paraná-Basaltflächen Argentiniens, in unserer Zeit Heimat der sich kilometerlang dahinziehenden Gischtvorhänge der Katarakte, die in der Sprache der Guarani »Iguazu« heißen – »Große Wasser«.
    Und dann riss sich in einer letzten, länger andauernden Aufwallung ganz Ostpatagonien von Angola los, während die Ebenen, die damals vor Kap Hoorn lagen, sich aus der geologischen Umklammerung der Regionen befreiten, die heute Namibia und das südafrikanische Kapland bilden, und fortglitten, um zum Vorland der südlichen Anden zu werden.
    Das alles ging mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit vor sich, denn während sich im Norden die Trennung mit einer gewissen Lässigkeit abgespielt hatte, überschlugen sich die Ereignisse unten im Süden gewissermaßen. Die Regionen am Atlantik, die den »Bauch« Brasiliens und die »Achselhöhle« Afrikas bilden und die ganz offensichtlich so gut ineinander passen, dass im 19. Jahrhundert Männer wie Alfred Wegener es erstmals wagten, die Theorie zu äußern, die Kontinente könnten sich einst auseinanderbewegt haben – Gedanken, mit denen Wegener sich nahezu universeller und anhaltender Verspottung aussetzte –, hatten es, nachdem sie so lange Zeit fest zusammengeschweißt gewesen waren, geschafft, sich in lächerlichen vierzig Millionen Jahren um fünftausend Meilen voneinander zu entfernen. In diesem Teil der Erde muss sich das Meeresbett jährlich um einiges mehr als zehn Zentimeter verbreitert haben – der Prozess lief also unendlich viel schneller ab als im Gebiet des Nordatlantiks mit seinen so regen Wogen und ging mit einer dreimal so hohen Geschwindigkeit vonstatten wie zu unserer Zeit, in der der Ozean sich nach wie vor unablässig ausdehnt.
    Die Bewegung ist also nie zum Stillstand gekommen. Die Konturen des Atlantischen Ozeans, wie wir sie heute kennen, wurden vor vielleicht zehn Millionen Jahren fixiert, und obwohl es uns und unseren Kartografen so vorkommt, als hätte der Ozean seit den Tagen von Kolumbus und Vespucci und der Anfertigung der großen Weltkarte durch den Deutschen Martin Waldseemüller, auf der er erstmals genau verzeichnet war, dieselben Umrisse und Küstenlinien, kurz dasselbe »Aussehen« behalten, hat er sich während der ganzen Zeit subtil und sachte verändert. Die Küsten im Osten rücken weiterhin vor, während die im Westen sich nach wie vor zurückziehen. Um eine Zeile aus dem Gedicht »The Second Coming« (»Das zweite Kommen«) von William Butler Yeats zu zitieren: Die Welt zerfällt, die Mitte hält nicht mehr. Der Mittelatlantische Rücken spuckt

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