Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
weiterhin unermessliche Mengen neuen Meeresbodens aus, einiges von dem Magma tritt in Form neuer Inseln und Riffe auch über der Wasseroberfläche zutage. Und die bereits existierenden Inseln hören nicht auf, sich unendlich langsam vom Mittelpunkt des Meeres zu entfernen.
Vor zehn Millionen Jahren war die große Aufsplitterung vollzogen und die Geburt des Atlantiks abgeschlossen. Irgendwann in der fernen Zukunft – wie wir sehen werden, nicht zu einem völlig ungewissen Zeitpunkt – werden sich die Felsen, die sich voneinander lösten, wieder zusammenschließen, und das Meerwasser wird dann gezwungen sein, sich einen anderen Platz zu suchen – und es wird auch eine andere Heimstatt finden. Das riesige Weltmeer mit seinem im Wesentlichen jederzeit konstanten Volumen an Seewasser wird sich aufgrund der Kontinentaldrift neu formen müssen und im Lauf von Jahrmillionen immer wieder andere Umrisse annehmen und seine Ausdehnung verändern. Der Atlantik wurde geboren, er wird, wenn seine Zeit gekommen ist, auch wieder sterben.
Aber es wird noch sehr lange dauern, bis es so weit ist. Bis dahin gibt der Atlantische Ozean, Mare Atlanticus , das Große Westliche Meer, so etwas wie eine riesige, komplett eingerichtete, mit allem ausgestattete Bühne ab. Er war vor zehn Millionen Jahren schon genauso beschaffen wie heute, ein Ozean wie ein gekrümmter, sich schlängelnder Fluss, der sich über Tausende von Meilen erstreckt, von den stygischen Nebeln des Norden bis zu den Roaring Forties in Süden, mit einem von Gräben durchzogenen Boden in den tiefen Gewässern des Westens und mit gefährlich seichten Stellen in den flacheren Regionen des Ostens, Lebensraum von Dorschen und Fliegenden Fischen, von sich unter wärmender Sonne tummelnden Haien und Blauflossenthunfischen; ein Ort, an dem sich Sargassum-Algen zu großen Wäldern zusammenballen und Winde zu gewaltigen Stürmen, eine riesige Fläche mit Eisbergen und Gezeitenströmen, Strudeln und Sandbänken, mit Schluchten und Schwarzen Rauchern am Tiefseeboden, mit unterseeischen Rücken und Bergen, Kaps, Schwellen und Bruchlinien, mit Strömungen, kalten wie warmen, reißenden ebenso wie trägen, mit Vulkanausbrüchen und Erdbeben in der Tiefe, mit Stromatolithen, Cyanobakterien und Hufeisenkrabben, mit Kolonien von Seevögeln, Pinguinen und Eisbären, Mantarochen, Riesenkraken, Quallen und mit jenen langsam und ruhig dahingleitenden Majestäten des Südens: den prachtvollen großen Wanderalbatrossen.
Mit der Ausstattung dieser Bühne, von der ein solcher Zauber ausgeht und die so reich an Geheimnissen ist, wurde vor sehr langer Zeit begonnen. Die meisten Nebendarsteller, die vielen Tiere und Pflanzen, haben sie mittlerweile betreten. Der Atlantik liegt weit und offen da, er ist physisch vollständig ausgebildet, und alles ist bereit für den Auftritt des Geschöpfes, das die bloße Existenz dieses großen Meers in eine Erfahrung, ein Erlebnis überführen, eine Vorstellung von ihm entwickeln wird.
Denn nun schickt der Hauptdarsteller sich an, ins Rampenlicht zu treten und für einen Zeitraum, der – je nach Standpunkt – droht oder verspricht, relativ gesehen nicht mehr als ein äußerst flüchtiger Moment zu sein, auf dieser Bühne zu agieren. Der Mensch ist endlich bereit, die graue, wogende Realität dieses gewaltigen Gewässers zu konfrontieren – und herauszufinden, was eigentlich auf und in ihm vor sich geht.
4 1965 gehörte ich einer Expedition an, die mithilfe einer Messung des fossilen Magnetismus in Basaltgestein, das von über der ostgrönländischen Eiskappe aufragenden Nunataks eingesammelt worden war, ermitteln sollte, wie weit die Insel seit der Zeit, als diese Felsen entstanden, gedriftet war. Wir fanden heraus, dass Grönland sich um ungefähr fünfzehn Grad nach Westen geschoben hatte, was die Theorie von der Plattenverschiebung, die damals gerade vorgebracht worden war, in hervorragender Weise stützte.
5 Beide Inseln sind norwegische Besitzungen. Auf der zumeist nebelverhüllten und öden Insel Jan Mayen gibt es eine Start- und Landebahn für Flugzeuge und eine bemannte Wetterstation; die Wetterstation auf Bouvet, einer Anhäufung von Klippen und südatlantischem Eis, wurde von einer Lawine zerstört; die Insel ist seitdem unbewohnt.
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