Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
ihnen ein Hang zu Kommerz und Handel angeboren ist – wagten sich die Phönizier mit ihren großen Schiffen aufs Meer hinaus und segelten westwärts, Handel treibend, kämpfend, andere Völker unterwerfend.
Als sie zu den Säulen des Herkules kamen, um das 7. vorchristliche Jahrhundert herum, entschieden sie sich im Unterschied zu allen Vorgängern nicht, an dieser Stelle haltzumachen. Ihre Kommandanten, zweifelsohne kühne und wackere Männer, entschlossen sich, einfach durch die Meerenge hindurchzusegeln, mitten in die ihnen entgegenschlagenden Wogen und die Stürme hinein, um zu erkunden, was unmittelbar jenseits der Meerenge lag.
Männer aus der Hafenstadt Tyros scheinen die Ersten gewesen zu sein, die das taten. Ihre Schiffe, mit breitem, sichelförmigem Rumpf, die man wegen ihrer üppigen, ausladenden Formen »Rundschiffe« oder galloi nannte und die oft zwei Masten aufwiesen, einen mittschiffs und den anderen weiter zum Bug hin, an denen Segel hochgezogen werden konnten, wurden aus einheimischen Zedern gefertigt, die man schon überraschend geschickt zu Planken zu verarbeiten verstand und die mit Nut und Feder ineinandergefügt sowie mit Teer kalfatert waren. Die meisten der für längere Strecken gebauten Schiffe aus Tyros, Byblos und Sidon wurden zusätzlich von Ruderern vorangetrieben; bei den kleineren Handelsschiffen waren es in der Regel sieben auf jeder Seite, bei den größeren Schiffen gab es back- wie steuerbords dreizehn Ruderbänke für jeweils zwei Mann, was diesen Fahrzeugen zu einem beeindruckenden Beschleunigungsvermögen verhalf. Sie waren prächtig verziert und oft auf eine Weise bemalt, die Gegner einschüchtern sollte: Auf dem Bug prangten riesige Augenpaare oder auch Drachen mit vielen Zähnen im Maul oder brüllende Tiger, und statt eines vollbusigen weiblichen Wesens als Galionsfigur, wie sie bei europäischen Seefahrern später so beliebt war, trugen sie einen Rammsporn aus Metall vor sich her.
Die Schiffe der Phönizier waren dafür bestimmt, Geschäfte zu machen. Das berühmte Wrack aus der Bronzezeit, das 1982 von einem Schwammtaucher bei Kap Uluburun in der südlichen Türkei entdeckt wurde (und das, wenn auch nicht mit letzter Gewissheit phönizischer Provenienz, so doch mit Sicherheit typisch für die Zeit ist), gibt zu erkennen, was für eine überaus reiche Auswahl an Handelsgütern damals im Mittelmeerraum bereits zur Verfügung stand, und auch, zu wie vielen Bestimmungsorten man schon unterwegs war. Die Seeleute, die es auf seiner letzten Fahrt bemannten, hatten offensichtlich mit diesem Schiff schon Ägypten, Zypern, Kreta, das griechische Festland und möglicherweise sogar das ferne Spanien angelaufen. Als es unterging – vermutlich weil die Fracht in einem plötzlich aufgekommenen Sturm verrutscht war –, barg der Laderaum der fast vierzehn Meter langen galloi eine verwirrende – und sich letztlich als zu schwer erweisende – Fülle an Luxusgütern, weit verschiedenartiger, als John Masefield 8 jemals hätte ersinnen können. Da gab es Barren von Kupfer und Zinn, Blauglas und Ebenholz, Bernstein, Straußeneier, ein italisches Schwert und eine bulgarische Axt, Feigen, Granatäpfel, einen goldenen mit einem Porträt Nofretetes verzierten Skarabäus, einen ganzen Satz von Bronzewerkzeugen, der höchstwahrscheinlich dem Schiffszimmermann gehörte, eine Tonne Terebinthenharz, Mengen von Krügen und Amphoren sowie den als pithoi bekannten griechischen Speichergefäßen, silberne und goldene Ohrringe, zahllose Lampen und eine große Menge Flusspferdhauer.
Die Möglichkeit, dass dieses Schiff bis nach Spanien gefahren war, lässt erahnen, was für große seefahrerische Ambitionen die Händler hegten. Die vierzig Zinnbarren, die zur Ladung gehörten, geben einen Hinweis auf ihre kaufmännischen Motive. Zinn war unerlässlich für die Herstellung von Bronze, und seit der Einführung von Münzen als Zahlungsmittel im 7. Jahrhundert v. Chr. war die Nachfrage nach dieser Legierung gewaltig gestiegen. Den Levantinern war aus Berichten bekannt, dass angeschwemmtes Zinn an den Ufern mehrerer Flüsse zu finden war, die aus den Hügeln des südspanischen Hochlands herabflossen – vor allem an denen des Guadalquivir und des Guadalete, aber auch an den Rändern des Tinto, des Odiel und des Guadiana –, und daher entschieden sich die Phönizier um jene Zeit herum, alle Bedenken in den Wind zu schlagen und dorthin vorzustoßen. Bei dem eingeschränkten Wissen, das sie besaßen, und
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