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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Flüsse und Sümpfe in ihrer Gegend befahren und die weniger breiten Meeresarme überqueren konnten. Doch diese Fahrzeuge stellten wenig mehr als Nachen dar, ohne Kiel, Segel, Steuerruder und auch nicht mit genügend Freibord, dass man sich mit ihnen auch nur eine kleine Strecke weit aufs Meer hätte hinauswagen können. Zum ersten nennenswerten Fortschritt auf dem Gebiet des Bootsbaus kam es erneut in der Halbmondregion: In Kuwait wurde zweitausend Jahre später ein richtiges Segelboot gebaut, der Rumpf bestand aus Schilfrohren und Binsen und war mit Bitumen überzogen. Mit diesem Boot konnte man zumindest die schwierigen und unberechenbaren Gewässer des Roten Meers befahren und vielleicht sogar noch weiter vordringen.
    Auch in Oman gab es solche Boote, und 2005 sponserte ein begeisterter Sultan aus dem Emirat ein Experiment: Eine sechsköpfige Mannschaft sollte einen Nachbau von Muskat nach Gujarat an der indischen Küste steuern. Die zurückzulegende Strecke war dreihundertsechzig Meilen lang, doch die Bitumenschicht muss porös gewesen sein, denn die Schilfrohre des Rumpfes sogen sich mit Wasser voll, als das Boot sich gerade mal drei Meilen von der arabischen Küste entfernt hatte. Das winzige Fahrzeug sank sofort, und die Crew musste von einem Schiff der Royal Oman Navy gerettet werden.
    5. Segeltörns
    D ie Phönizier waren die Ersten, die sich auf die Konstruktion seetüchtiger Schiffe verstanden, und mit ihnen trotzten sie den rauen Wogen des Atlantiks. Es stimmt allerdings, dass die Minoer schon vor ihnen auf dem Mittelmeer eifrig Handel trieben und ihre Schifffahrtsrouten mit einer Flotte schneller und teuflisch gefährlicher Kriegsschiffe verteidigten. Ihre Schiffe, für deren Bau sie Werkzeuge mit scharfen Klingen und Schneiden aus Bronze benutzten, waren elegant und widerstandsfähig. Die Rümpfe bestanden aus Zypressenstämmen, die man der Länge nach durchsägte. Die halbierten Stämme wurden mit Seilen verbunden, so dass sie leicht überlappten, und über diese Planken wurde ein weiß gefärbtes und mit einer harzhaltigen Tinktur getränktes Leinengewebe gespannt. An einem Mast aus Eichenholz war ein Segel befestigt; um eine höhere Geschwindigkeit zu erreichen, benutzte man aber zusätzlich auch Ruder. Doch diese Fahrzeuge wurden nur bei Tag eingesetzt, und sie verkehrten nur zwischen Kreta und den Inseln, die nicht mehr als ein, zwei Tagesreisen von der Heimat entfernt waren. Kein einziger Minoer wagte sich in die Gewässer jenseits der Säulen des Herkules, in die donnernden Wogen des Meeres der ewigen Finsternis.
    Wie die Menschen in den meisten anderen damaligen Thalassokratien nahmen auch die Minoer die vielen Legenden, die sich um den Atlantik rankten, für wahr. Diese Geschichten und Sagen führten dazu, dass sogar die Kühnsten davor zurückscheuten, den Ozean zu befahren. Die Gewässer jenseits der Säulen, jenseits der bekannten Welt oder dem, was die Griechen oikumenè, die bewohnte Erde, nannten, waren einfach zu befremdlich und erschreckend, als dass man es riskiert hätte, sich in sie vorzuwagen. Von einigem Mirakulösen, das es dort geben sollte – wie in relativer Küstennähe den Gärten der Hesperiden und etwas weiter draußen dem größten aller von griechischen Philosophen entworfenen Wunderländer: Atlantis –, ging vielleicht eine starke Verlockung aus. Doch ansonsten war der Ozean voller Schrecken. »Ich vermag keinen Weg aus dieser grauen Gischt herauszufinden«, so hätte gut die Klage des Odysseus lauten können, »keinen Weg aus diesem grauen Meer heraus« . Die Winde wehten dort so heftig, die Stürme kamen so jäh auf, die Wogen waren von einer Höhe und einer Wildheit, wie man es im Mittelmeer nie erlebte.
    Dennoch gab das relativ friedliche Binnenmeer der antiken Welt ein Übungsgelände, eine Vorschule für jene Seeleute ab, die sich einige Zeit später als unendlich viel wagemutiger und in kommerzieller Hinsicht ambitionierter erwiesen als die Minoer – wozu es im Verlauf des menschlichen Fortschritts unweigerlich kommen musste. Ungefähr zu jener Zeit, als der Santorin ausbrach, was, wie viele Historiker glauben, den Unternehmungen der Minoer den Todesstoß versetzte, erwachten die levantinischen Völker, die in merkantiler Hinsicht ehrgeiziger waren als die anderen, zum Leben. Von ihrem schmalen Küstenstreifen aus – der im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende zum Libanon, zu Palästina und Israel werden sollte und von dessen Bewohnern man sagen kann, dass

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