Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
gaben einem Fluss seinen Namen, stießen auf die Fußspuren von Menschen und die Hufabdrücke von Kamelen, aus denen sie schlossen, dass die Äquatorialzone, die lange als zu trocken und heiß dafür gegolten hatte, bewohnt war. Dann kehrten sie zu ihrem Auftraggeber zurück, der ihnen endlich Glauben schenkte. Sie erlebten eine kurze Periode des Ruhms, wonach sie aber der Vergessenheit anheimfielen.
Die beiden Fahrten des Gil Eannes brachten den Durchbruch. Innerhalb weniger Monate brachen andere Expeditionen aus portugiesischen Häfen auf und steuerten verschiedene Punkte an der endlich zugänglichen Küste Afrikas an, um sie zu erkunden, später auch die Südspitze des Kontinents zu umrunden und dann Kurs Richtung Osten, nach Indien mit seinen reichen Schätzen, zu nehmen.
Die Schiffe wurden immer größer – von den kleinen barcas , die Eannes benutzt hatte, bis hin zu den drei- oder viermastigen Karavellen und den gigantischen Naus, die man im 16. Jahrhundert für den Gewürztransport verwendete. Und die Instrumente auf den Brücken und Kommandoständen wurden immer ausgefeilter. Astrolabium und Kompass kamen zum Einsatz. Lote wurden erfunden, die an so langen Leinen befestigt waren, dass man damit auch in extrem tiefen Gewässern Sondierungen vornehmen konnte; Gezeitentabellen und Angaben über eingeschränkte Sichtverhältnisse wurden veröffentlicht.
Die Seefahrer wurden immer abenteuerlustiger, und die Geschichtsschreiber berichteten von ihren Taten. Bartolomeu Diaz umfuhr als Erster das Cabo das Tormentas, das Kap der Stürme, das später in Kap der Guten Hoffnung umbenannt wurde; Vasco da Gama gelang es, auf dem Seeweg Indien zu erreichen. Pedro Cabral landete als Erster in Brasilien, Alfonso d’Albuquerque in Malabar, Ceylon und Malakka. Die Namen vieler anderer Seefahrer – die von Fernando Póo, Tristan da Cunha, Luis Váez de Torres zum Beispiel – sind unsterblich geworden, weil man Inseln oder Meerengen oder, was die drei Angeführten betrifft, eine Sklavenkolonie auf einer Insel im Golf von Guinea, einen gefährlichen Vulkan im fernen Südatlantik und eine enge Durchfahrt zwischen Neuguinea und der Nordspitze Australiens nach ihnen benannt hat. Der Größte von allen – allerdings machen andere ihm diesen Rang streitig – war vielleicht Fernao de Magalhães, der Möchtegern-Weltumsegler, der in Portugal geboren wurde, aber in spanische Dienste trat und 1521 als Fernando de Magallanes auf den Philippinen starb. Alle diese rastlosen Seefahrer und eine ganze Schar weiterer – von denen die meisten aus Portugal stammten, was den Spruch aufkommen ließ, die Portugiesen hätten ein kleines Land, um darin zu leben, aber die ganze Welt, um darin zu sterben – profitierten von den Segeltechniken, die Eannes praktisch erprobt hatte; sie waren seine Erben, sie folgten in seinem Kielwasser, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn, und begannen mit der planmäßigen Erkundung des Atlantiks wie auch der anderen Weltmeere, mit dem systematischen Erwerb von Wissen über sie.
3. Die Wasser werden aufgewühlt
M an muss sich in Erinnerung rufen, dass bis zu der Zeit von Amerigo Vespucci unbekannt war, dass es sich beim Atlantik um ein eigenständiges Gewässer handelt, dass es noch nicht einmal den geringsten Hinweis darauf gab, niemand auch nur einen entsprechenden Verdacht hegte. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts existierte der Atlantik zwar als großes Gewässer im Bewusstsein der Menschen, nicht aber als Weltmeer. Erst nach Vespuccis Fahrt wurde der Atlantische Ozean – über Nacht gewissermaßen – geboren.
Nachdem die Existenz dieses neuen Ozeans ins Bewusstsein der Menschen gedrungen war, wurden Anker gelichtet und Segel gehisst, Messinguhren wurden aufgezogen und Leinen mit Bleiloten versehen. Wissenschaftler wurden beauftragt und Kartografen berufen, und Legionen von furchtlosen Skippern verließen mit ihren kleinen Schiffen die sicheren Häfen und machten sich auf, um dieses Gewässer zu vermessen, zu erfassen und seine einzelnen Teile zu benennen.
Was die Ränder eines Meeres betrifft, ist der tägliche Wechsel von Ebbe und Flut das Phänomen, dessen Erforschung sich am offenkundigsten lohnt. Draußen auf dem offenen Ozean, wo die Gezeiten sich nicht mehr auswirken, muss der Seemann auf andere Dinge achten: auf die Größe der Wogen und die Richtung von Böen, den Verlauf von Stürmen, die Wege, die Vögel und Fische nehmen, die Tiefe des Wassers unterm Kiel und – was am
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