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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Territorium, was man der Landschaft und der ganzen Atmosphäre dieses Gebiets noch anmerkt. Der Norden Marokkos ist von einer Art samtener Opulenz gekennzeichnet, während die südlichere Region des Landes von ausgeprägter Herbheit ist: trocken, staubig und ölbefleckt.
    Die Städte liegen weit auseinander, und im Allgemeinen lohnt es sich, nur zu stoppen, um den Tank aufzufüllen – obwohl es in einer von ihnen ein Denkmal für Antoine de Saint-Exupéry gibt, das an die Zeit erinnert, als er in den dreißiger Jahren als Kurier zwischen Toulouse und Dakar hin und her flog. Es gibt Fischerhütten, in denen man Zackenbarsch, Schwertfisch und Sardinen kaufen kann, alle frisch gefangen und über Treibholzfeuern gegrillt. Die Küste selbst wird interessanter. Kurz vor Tarfaya macht sie einen abrupten Schwenk, verläuft für fünfzig Meilen nach Westen und bildet einen ins Meer ragenden Ausläufer, Kap Juby, gegen das im Lauf der Jahrhunderte unzählige Schiffe, deren Kapitäne schliefen, sturzbetrunken oder einfach unfähig waren, geprallt sind. Man sieht dort die Wracks von Fischdampfern majestätisch hoch oben auf dem felsigen Strand thronen; alle werden sie nach und nach von der alles zersetzenden Brandung aufgezehrt.
    Dieser Abschnitt der afrikanischen Küste war seit alters her für die Gefahren berüchtigt, die an ihm lauerten. Bei siebenundzwanzig Grad nördlicher Breite, an die hundertfünfzig Meilen südlich von Kap Juby mit seinen vielen Wracks, erhebt sich ein niedriges Kap vor einem, das von größter Bedeutung für die Geschichte der Schifffahrt auf dem Atlantik war, obwohl es bei Weitem keinen so spektakulären Anblick bietet wie eines der anderen berühmten atlantischen Kaps, Finisterre, Hoorn, Gute Hoffnung, Farewell, St. Vincent oder Race beispielsweise, die in die Literatur eingegangen sind und um die sich Legenden ranken. Das Kap, von dem hier die Rede ist, trägt den Namen Bojador.
    Obwohl das portugiesische Wort auf einen »Vorsprung« verweist, bildet diese Ansammlung von niedrigen Klippen gar keinen solchen, das Kap selbst stellt auch nicht das geringste Hindernis für Schiffe dar, die an der Küste entlang mit südlichem Kurs unterwegs sind. Viele Jahrhunderte lang wagte es dennoch kein Segelschiff, es zu umrunden, es wäre auch gar nicht in der Lage dazu gewesen. »Quem quer passar além do Bojador, Tem que passar além da dor« , schrieb der portugiesische Lyriker Fernando Pessoa: »Wer Bojador überwinden will, muss auch den Schmerz überwinden.«
    Jenseits dieses Kaps lag ein völlig unbekanntes Gewässer – eine furchteinflößende, von Monstern wimmelnde Wasserwüste, die in allen Häfen als »Grünes Meer der Finsternis« bekannt war.
    Bis zum 15. Jahrhundert war es keinem Seemann, keinem Spanier, Portugiesen oder Venezianer, Dänen oder Phönizier – und allen Berichten nach auch keinem Afrikaner – jemals gelungen, Cabo Bojador auf dem Seeweg zu überwinden; und in allen frühen nautischen Schulen Europas galt das Meer hinter diesem Kap als unbefahrbar. Seine Existenz ist einer der Gründe dafür, dass der mittlere Atlantik, obwohl seine Ufer die am stärksten besiedelten aller Weltmeere sind, das letzte Meer war, das routinemäßig von Schiffen befahren wurde. Polynesier waren schon lange zuvor kreuz und quer über den Pazifik gerudert und gesegelt. Seeleute aus Persien und den Ländern am Golf von Arabien hatten ihre aus Binsen und Teer gefertigten Boote über den nördlichen Teil des Indischen Ozeans gesteuert. Chinesische Seefahrer kannten sich im östlichen Teil dieses Ozeans und in seinen Küstengewässern bestens aus; und die Wikinger wussten über die seemännisch anspruchsvollen Gewässer des hohen Nordens genau Bescheid. Doch die traditionelle Seemannskunst schien sich im Atlantik nicht so zu bewähren wie anderswo oder jedenfalls nicht so schnell Ergebnisse zu bringen, und Aufzeichnungen zufolge war Cabo Bojador einer der Gründe dafür.
    Das Problem dort war auf das einzigartige Zusammentreffen mehrerer Faktoren – solcher topografischer, klimatischer und maritimer Natur – zurückzuführen. Der Seemann, der vielleicht von einem spanischen Hafen aus mit Kurs Richtung Süden unterwegs war, von leichtem Wind getrieben an der Straße von Gibraltar vorbeigesegelt und dann mit fünf, sechs Knoten gemächlich an der afrikanischen Küste entlanggeglitten war, ahnte nichts von den Schwierigkeiten, die direkt vor ihm lagen. Jeden Tag konnte er an der Position seines Schiffs in

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