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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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jeder, der sich einfach von ihm treiben ließ, sicher und in relativ kurzer Zeit wieder in die Heimat gelangte. Für Galeonen, die ohne Fracht von Spanien aus aufbrachen, konnte die Fahrt in die Ferne mühsam und gefährlich sein, doch mit Schätzen beladen, würden sie majestätisch von der Meerenge von Panama aus nach Hause gleiten können, von dieser neu entdeckten Strömung mitgezogen.
    Sich vom Golfstrom treiben zu lassen, auf ihm zu »reiten«, wurde bald zu einer Art seemännischem Sport. Bei der traditionellen Methode der Rückfahrt nach Spanien bediente man sich allein der Winde, das heißt, man machte sich die Westwinde zunutze, die während der meisten Zeit des Jahres in den mittleren Breiten des Atlantiks bliesen. Doch bestand auf einer Fahrt von der Spanish Main zurück nach Europa immer das Risiko, dass man in Versuchung geriet, zu früh den Kurs in Richtung Osten, zur Heimat hin, zu ändern. Damit lief man Gefahr, in der unbeständigen Brise, die heute als Bermuda High bekannt ist, bekalmt zu werden. Mit der Entdeckung des Golfstroms hatte man jedoch eine einfache Lösung gefunden – obwohl, ähnlich wie im Fall des Gil Eannes bei der Umrundung von Bojador, der Kurs, den man einschlagen musste, zunächst der Vernunft zu widersprechen schien: Eannes war Richtung Westen aufgebrochen, um in den Süden zu gelangen, die Kapitäne von Atlantikseglern, die nach Europa zurückkehren wollten, mussten den Norden ansteuern, um die im Osten liegenden Heimathäfen zu erreichen.
    Auf ihrem Weg von Panama suchten sie zuerst die Anfänge des Golfstroms in der Karibik aufzuspüren und ihn anschließend in den flachen Gewässern vor dem heutigen Kap Hatteras ausfindig zu machen. Nachdem ihm das gelungen war, versuchte ein Kapitän, sein Schiff in dieses sechzig Meilen breite Band warmen, schnell fließenden Wassers zu steuern, um es von der Strömung mit einer Geschwindigkeit von fast sechs Meilen in der Stunde nach Norden tragen zu lassen und, wenn der blaue Strom seinen Schwenk nach Osten machte, diesen mitzuvollziehen und sich ihm für den größten Teil der zweitausend Meilen, die seine Gesamtlänge bis nach Europa betrug, anzuvertrauen.
    Nachdem dieses Wunder der Natur entdeckt, sein Verlauf kartografisch erfasst und seine Geschwindigkeit gemessen worden waren, zeigten sich viele Leute von diesem Phänomen fasziniert. Zu denen, die sein Loblied am lautesten sangen, gehörte ein Mann, von dem man dies wohl kaum erwartet hätte: der Universalgelehrte, amerikanische Politiker und Gründungsvater Benjamin Franklin. In einem höchst bemerkenswerten Brief, den er im Sommer 1785 an Bord eines Postschiffs, das nach Falmouth in England unterwegs war, zu Papier brachte, äußerte er einige sehr präzise und kluge Gedanken über Diverse Umstände den Gulph Stream betreffend . Das Dokument kündet von einem solchen Weitblick, dass es einem gar nicht verwunderlich erscheint, dass dieser bemerkenswerte Mensch solch wunderbare Dinge wie den Blitzableiter, die Bifokalbrille, Leihbibliotheken und einen technisch fortschrittlichen Herd 21 erfand und überdies auch noch das Prinzip, nach dem die Glasharmonika funktioniert, zu erklären vermochte.
    Jede einzelne Zeile dieses Briefs, der an ein mit Franklin befreundetes Mitglied mehrerer Pariser Akademien namens Alphonsus le Roy gerichtet ist, verblüfft und fasziniert. Der Golfstrom findet erst in der zweiten Hälfte Erwähnung, und bevor er sich ihm widmet, hat Franklin seinem Freund schon in mäandrierender, assoziativer Manier seine Gedanken zur Gestaltung von Schiffsrümpfen, zum möglichen Einsatz von Propellern in Lenkballons, über die verbreitetsten Ursachen von Unfällen auf See und über die Art von Lebensmitteln, die man am besten als Proviant auf einer langen Reise über den Ozean mitführt (vor allem Mandeln, Zwieback, Zitronen und »Jamaika-Schnaps«), zur Kenntnis gebracht.
    Doch dann kam er auf den Golfstrom zu sprechen. Franklin erinnerte le Roy daran, dass er ein Jahrzehnt zuvor als Amerikas erster Generalpostmeister und davor als Generalpostmeister der englischen Kolonien gedient hatte. Dies sei die Zeit gewesen, in der er die merkwürdige Erscheinung mitten im Nordatlantik erstmals voll und ganz begriffen habe:
    »Um das Jahr 1769 oder 1770 herum wurde die Bostoner Zollbehörde bei den Lords des Schatzkanzleramts in London vorstellig mit der Beschwerde, dass die Paketschiffe zwischen Falmouth und New York generell zwei Wochen länger unterwegs waren als Kauffahrer

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