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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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benötigten neue Territorien, mit denen man Geschäfte machen konnte. Der Kongress stellte finanzielle Mittel bereit und geriet dann in eine schreckliche Bredouille, als er zwischen den Wissenschaftlern und den Marineoffizieren zu vermitteln versuchte, auf deren Mitwirkung man angewiesen war, die aber ganz gegensätzliche und kaum miteinander zu vereinbarende Forderungen stellten. Der Mann, der sich aufgrund der endlosen Reibereien entschloss, lieber daheim zu bleiben – aber dennoch zum gefeiertsten amerikanischen Ozeanografen des 19. Jahrhunderts aufsteigen würde –, war ein junger Marineleutnant namens Matthew Fontaine Maury. Seine Entscheidung, auf die Mitfahrt zu verzichten (er war eingeladen worden, als offizieller Astronom mit auf die Reise zu gehen, war aber zu dem Schluss gekommen, dass der mit der Organisation beauftragte Regierungsangestellte ein »Schwachkopf« sei), stellte sich als vorteilhaft für seinen eigenen Ruf heraus. Von denen, die teilnahmen, erwarben sich nur wenige solche Lorbeeren wie er.
    Denn als die aus sechs Schiffen holterdiepolter zusammengewürfelte Flottille im Spätsommer 1838 in Richtung Madeira lossegelte, stellte sich heraus, dass in wissenschaftlicher Hinsicht vollkommen unbedarfte Seeoffiziere mit den wichtigsten Forschungsaufgaben beauftragt worden waren. Was aber nicht bedeutet, dass es besser gewesen wäre, wenn man diese Männer sich ihren traditionellen Aufgaben hätte widmen lassen, denn auf die Schiffsführung verstanden sie sich auch nicht besonders gut. Eines der Schiffe sank in einer Flussmündung, und die Besatzung wurde von einem afroamerikanischen Matrosen von einem der anderen Schiffe gerettet, der einen Mann nach dem anderen mithilfe eines Eingeborenenkanus aus dem Wasser fischte. Einem Matrosen von der Vincennes legte sich ein über Deck schleifendes Tau um den Hals, und der Mann wurde bis zum Hauptbramsegel hochgerissen, wo er dreißig Meter über dem Meer hängen blieb und langsam stranguliert wurde. Er überlebte, sein Genick war nicht gebrochen, aber sein Gesicht wegen des Sauerstoffmangels ganz blauschwarz angelaufen. Als er die Augen wieder aufschlug, verlangte er als Erstes ein Glas Grog.
    Auf Fidschi kam es zu einem Riesenaufruhr, weil die Expeditionsteilnehmer einen der Eingeborenen beleidigten: Zwei Besatzungsmitglieder wurden von erbosten Insulanern umgebracht, und die Amerikaner übten – in einem Vorgriff auf spätere für die USA typische politische Maßnahmen – Vergeltung, indem sie ein, zwei Dörfer niederbrannten und achtzig Eingeborene töteten. Um allem die Krone aufzusetzen, ging ein zweites Schiff verloren, dieses Mal sank es mit Mann und Maus, und zwar in einem wütenden Sturm vor dem anderen Staten Island, dem zerklüfteten und unbewohnten Eiland in der Nähe der südöstlichen Spitze von Tierra del Fuego, dem letzten Ausläufer der Andenkette, bevor diese ins Meer abfällt.
    Alles in allem war die Ex-Ex eine zutiefst unerfreuliche Unternehmung. Als die übrig gebliebenen Schiffe beinahe vier Jahre nach ihrer Abfahrt aus Norfolk in den New Yorker Hafen zurückgekrochen kamen, wurde der Offizier, der das Oberkommando innegehabt hatte, ein Charles Wilkes, der immer in Kapitänsuniform herumstolziert war, obwohl er nur im Rang eines Leutnants stand, einkassiert und vor ein Kriegsgericht gestellt, weil er seine Leute zu hart bestraft hatte. Einige Übeltäter waren auf seinen Befehl hin »durch die Flotte gepeitscht« worden, eine besonders grausame Art der Züchtigung, bei der die Bootsmänner von jedem Schiff auf den Unglücklichen einschlugen, bis er halb tot war. Später wurden Versuche zur Rehabilitierung von Wilkes unternommen, doch bleibt er als pedantischer und arroganter Kapitän in Erinnerung, der überdies die Publikation der Expeditionsberichte in äußerst nachlässiger Weise betrieb – der letzte Band erschien erst zweiunddreißig Jahre nachdem die Schiffe wieder in einem amerikanischen Hafen eingelaufen waren –, und das alles wirft einen Schatten über das, was ein spektakulärer Einstieg Amerikas in das Gebiet der Ozeanografie hätte sein können.
    Doch der Nichtteilnehmer an der Expedition, Matthew Fontaine Maury, sollte für Ausgleich sorgen und Amerikas Ruf auf dem Gebiet wiederherstellen – und das alles binnen kurzer Zeit.
    Als Maury die Position des Expeditionsastronomen angeboten wurde, war er von der Navy beurlaubt, bezog nur den halben Sold und arbeitete in Virginia in der Nähe seiner Heimatstadt als

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