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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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als die längste und spektakulärste Gebirgskette in der Tiefe der Meere bekannt ist, des Mittelatlantischen Rückens, auch Mittelatlantische Schwelle genannt.
    Diese durch Maurys Karte dokumentierte Tatsache machte einem millionenschweren Industriellen aus Massachusetts namens Cyrus W. Field, der sein Vermögen in der Papierbranche erworben hatte, Appetit auf ein bestimmtes Projekt. Field hatte seit Langem darüber nachgedacht, ob es nicht möglich sei, mithilfe des elektrischen Telegrafen auch über den Atlantik hinweg Nachrichten zu übertragen. Und als er auf Maurys Karte die Ausdehnung des unterseeischen Gebirgsrückens mitten im Ozean sah, wandte er sich mit Fragen an ihn. Die Antwort fiel so aus, wie er gehofft hatte. Maury schrieb:
    »Von Neufundland bis Irland beträgt die Entfernung zwischen den einander nächstgelegenen Punkten an die sechzehnhundert Meilen, und der Boden des Meeres zwischen den beiden Stellen ist ein Plateau, das eigens zu dem Zweck dort platziert worden zu sein scheint, die Kabel eines unterseeischen Telegrafen aufzunehmen und vor Beschädigungen zu bewahren. Es ist weder zu tief noch zu flach, aber so tief, dass Kabel, wenn sie dort einmal niedergelegt worden sind, weit außerhalb der Reichweite von Schiffsankern, Eisbergen und treibenden Gegenständen jeder Art bleiben werden, und so flach, dass die Kabel problemlos auf es niedergelassen werden können.«
    Weder Maury noch Field konnten ahnen, wie das »Plateau« in Wirklichkeit beschaffen war – es war ein wildes Durcheinander von Bergen und Tälern, gewaltigen Schluchten und Basaltspitzen, so dass jedes Kabel, das man auf es herablassen würde, zwangsläufig gedehnt werden und zerreißen oder brechen würde. Es herrschte immer noch tiefste Unkenntnis darüber, wie es am Meeresboden aussah. Man kann den Modus Operandi der Kabelverleger jener frühen Zeit – das waren in erster Linie die Matrosen auf der USS Niagara und der HMS Agamemnon , die vom Eifer ihrer ebenso wenig informierten Geldgeber mitgerissen wurden – mit dem Vorgehen von Blinden vergleichen, die von einem über die Berge des Himalaja oder die Alpen hinwegdonnernden Jet Drähte abwerfen. Sie nahmen an, dass sich ihre Kabel, wie die Fäden von Spinnen im Altweibersommer, in der Tiefe sachte über endlose glatte Flächen legen würden, und hatten keinerlei Vorstellung davon, was für scharfe Grate, spitze Hügel und mit kantigen Felsbrocken übersäte Senken es dort unten in Wirklichkeit gab. Die ersten Kabel, die man hinabließ und von denen einige zwischen Berggipfeln gehangen haben müssen, die mehr als dreitausend Meter hoch aus dem eigentlichen Meeresboden aufragten, wurden überdehnt, scheuerten durch oder zerrissen – und das alles mit entmutigender Häufigkeit. 1866 schaffte man es endlich, die telegrafische Verbindung zwischen Amerika und Europa herzustellen und aufrechtzuerhalten, doch noch Jahrzehnte danach mussten ständig Reparaturschiffe herumfahren, um die immer wieder brechenden Kabel zu flicken.
    In viktorianischer Zeit befand man sich nicht nur immer noch in vielfacher Hinsicht in Unkenntnis über den Ozean, sondern es existierte wirklich eine Menge wunderlicher Vorstellungen über ihn. Eine, der viele Menschen viel zu lange anhingen, war die, dass es, da die Dichte des Wassers mit wachsendem Druck zunehme (was sie kaum tut, da Wasser so gut wie nicht verdichtbar ist), in der Tiefsee Schichten gebe, über die hinaus Objekte nicht weiter zum Grund hin sinken konnten – das Wrack eines metallenen Schiffs beispielsweise würde in die Tiefe gleiten, bis es die Region erreicht hatte, in der das Wasser einfach zu dicht wurde, als dass es dieses noch hätte durchdringen können; es würde also ewig über dieser Schicht schweben bleiben.
    Unterschiedliche »Dichtestufen« des Wassers, so die Theorie, hatten zur Folge, dass bestimmten Dingen bestimmte Niveaus zugeordnet waren. Ein Eimer voller Nägel sank weiter nach unten als ein Ruderboot mit einem Loch im Rumpf. Pferde kamen in größerer Tiefe zu liegen als Frösche. Wie tief nach unten menschliche Leichname sanken, wurde vom Leibesumfang der betreffenden Person oder der Dicke ihrer Kleidung determiniert – einige besonders fromme Christen meinten auch, dass die drückende Last von Sünden oder eines schlechten Gewissens die nicht so Tugendhaften weiter nach unten befördere. Am Ende ordnete man die diversen Gegenstände je nach Gewicht und Volumen verschiedenen Schichten zu: Es gab Schichten für ins

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