Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
ersten großen Leistungen auf dem Gebiet der Ozeanografie im Jahr 1777, als er per Schiff von Bengalen nach England zurückkehrte. Er begann sich en route für die Strömungen zu interessieren, die sein Schiff kreuzen musste, und dann generell für alle solche Strömungen im Atlantik. Er wirkte dann an der Kartierung von Tiefseegebieten mit und verfasste Abhandlungen über den Golfstrom, die Nordatlantikdrift sowie den damals noch mysteriösen Meeresstrom, der Schiffe, die über den Atlantik in Richtung Ärmelkanal unterwegs waren, vor Cornwall nach Norden abdrängte und zwang, stattdessen in den Bristol Channel einzufahren. Und während der ganzen Zeit ging er akribisch einer Reihe kurioser Fragen nach; so bemühte er sich, die durchschnittliche Fortbewegungsgeschwindigkeit von Kamelen in der Sahara zu ermitteln, den Ort ausfindig zu machen, an dem Julius Cäsar vermutlich in Britannien gelandet war, und die Stelle vor der maltesischen Küste, an welcher der heilige Paulus wahrscheinlich Schiffbruch erlitten hatte. Er war bis ins hohe Alter – er wurde fast neunzig – aktiv, und obwohl er als verdienstvoll genug angesehen wurde, um in Westminster Abbey zusammen mit anderen Nationalhelden beigesetzt zu werden, wurden seine Leistungen in der Folgezeit weitgehend übersehen.
5. Das Ausloten der Tiefe
W enn man das spezifische Interesse, das James Rennell für den Ozean bekundete, mit jenem vergleicht, das Benjamin Franklin einige Jahre zuvor an den Tag gelegt hatte, erhält man bis zu einem gewissen Grad Aufschluss darüber, was Engländer auf der einen und Amerikaner auf der anderen Seite dazu bewog, den Versuch zu unternehmen, die dunkle, finstere Welt der Tiefe auf wissenschaftlicher Basis zu erkunden. Rennells Ansatz war eher ein akademischer, er war um das Begreifen von Phänomenen bemüht, ohne einen konkreten, praktischen Zweck damit zu verbinden, während Franklin, dessen Beschäftigung mit dem Golfstrom auf Meldungen zurückging, dass Postschiffe auf ihrer Fahrt nach Amerika auf geheimnisvolle Weise aufgehalten wurden, sich mehr aus kommerziellen Gründen mit diesem Thema befasste. Und dieser Unterschied blieb jahrelang bestehen: In Großbritannien bestand großes theoretisches Interesse für das Meer, man sah in ihm keineswegs nur etwas, das Zugang zu den verschiedenen Regionen des unablässig expandierenden Empire bot. In Amerika sah man im Ozean ein Hindernis, einen Opponenten quasi, den man nur mit praktischen Mitteln bezwingen konnte: indem man die Schiffe immer effizienter machte und den Schiffsverkehr ausbaute, Unterseekabel für die Kommunikation legte und immer konsequenter nutzte – und auch indem man alles Essbare oder anderweitig Verwertbare geschickt aus ihm herausholte.
Einflussreiche Kaufleute in den Hafenstädten an der amerikanischen Ostküste konnten über ihre Lobbyisten schließlich den US-Kongress dazu bewegen, die Küsten des Landes genau kartieren zu lassen. Zur selben Zeit befassten sich Wissenschaftler in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Skandinavien mit dem Ozean, nicht weil sie in ihm eine ultimative Quelle für kommerziellen Gewinn, sondern ein Füllhorn sahen, aus dem ein nicht enden wollender Strom von unbekannten Tieren und Pflanzen hervorsprudelte. Für die Europäer – vielleicht eine unzulässige Verallgemeinerung wie jede andere, doch liegt genügend Wahrheit in ihr, dass man sie nicht zurücknehmen muss – war Kenntnis über den Atlantischen Ozean zu erlangen gleichbedeutend damit, Kenntnis über den Planeten zu erlangen; für die Menschen auf der anderen Seite dieses Ozeans war dies im 19. Jahrhundert gleichbedeutend damit, besser dafür gerüstet zu sein, ein Vermögen zu machen.
Charles Darwin war einer jener Briten, die sich im frühen 19. Jahrhundert allein aus der Freude daran, Wissen zu erwerben, auf Atlantikfahrt begaben. Er war gerade erst zweiundzwanzig Jahre alt geworden, hatte eben in Cambridge sein Studium abgeschlossen, als er 1831 eingeladen wurde, mit »nach Tierra del Fuego und dann über Ostindien zurück in die Heimat zu segeln«. Die Reise auf der etwas über siebenundzwanzig Meter langen, mit zehn Kanonen bewaffneten Marinebrigg HMS Beagle sollte unerwartete fünf Jahre dauern und diente in erster Linie Messungen und Vermessungen der verschiedensten Art. Es befanden sich alle möglichen neuen Geräte und Instrumente an Bord, darunter präzise gehende Chronometer, Blitzableiter und Anemometer, die entsprechend der neu eingeführten
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