Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Special Publication No. S. 23 dieser Institution, deren vierte Auflage von der International Hydrographic Organization, wie der Name heute lautet, vorbereitet wurde, 26 ist vielleicht die gefeiertste und gleichzeitig die umstrittenste von allen Hinterlassenschaften des Fürsten. Auf ihren Seiten versteckt, findet man die formelle Definition des Atlantischen Ozeans, das heißt die Angabe seiner genauen Lage und der von ihm eingenommenen Fläche. In der achtunddreißig Seiten umfassenden Ausgabe von 1928 fiel der entsprechende Eintrag noch sofort ins Auge, in der modernen aber muss man nach ihm suchen, da der Name »Atlantik« inmitten der enormen Sammlung von brandneuen maritimen Namen (der schon genannten Ceramsee und anderen) beinahe untergeht.
Es zeigt sich, dass der Atlantik in den achtzig Jahren, in denen die Admiräle in Monaco über ihn gewacht haben, beträchtlich größer geworden ist. Tatsächlich ist er rein physisch um ungefähr einen Meter achtzig breiter geworden, wofür die erbarmungslos weiter voranschreitende Meeresbodenspreizung verantwortlich ist, dieses unaufhörliche Abrücken von der Mittelatlantischen Schwelle um einige Zentimeter im Jahr. Doch das ist es nicht, worauf sich die IHO in ihrer Publikation bezieht: Die in der vierten Ausgabe bekanntgegebene Vergrößerung ist eher metaphorischer als konkreter Natur; sie hat damit zu tun, wo man die Grenzen dieses Ozeans ziehen zu müssen glaubt. Damals, 1928, wurden dafür noch relativ – relativ – einfache Gesichtspunkte herangezogen.
Der Atlantik von 1928 wurde – auf dem Papier – in zwei Hälften geteilt, eine nördliche und eine südliche, und die Grenzen der beiden Subozeane wurden den Kardinalpunkten des Kompasses entsprechend festgesetzt. Nach der in Monaco ersonnenen Formel hatte der Nordatlantik also folgende Ausdehnung: Im Westen zog er sich bis zum östlichen Saum des Karibischen Meeres und dem südlichen Rand des Golfes von Mexiko, dann von der Nordküste Kubas bis nach Key West und an der amerikanischen und kanadischen Küste entlang bis zu den südöstlichen und nordöstlichen Grenzen des Golfes von Sankt Lorenz; im Norden reichte er bis zu den Anfängen des Arktischen Meeres, dann bis zu einer imaginären Linie, die von Labrador bis zur Spitze Grönlands verlief und von dort bis zu den Shetlandinseln; im Osten endete er am nordwestlichen Rand der Nordsee, an den nördlichen und westlichen Grenzen der Schottischen See, den südlichen der Irischen See, den westlichen sowohl des Bristol Channel als auch des English Channel (des Ärmelkanals), der Bucht von Biskaya und dem Mittelmeer. Im Süden schließlich reichte er bis zu einer Linie, die in einer Höhe von 4°25’ N zwischen Kap Palmas in Liberia und Kap Orange in Brasilien verläuft.
Die räumliche Ausdehnung des Südatlantiks festzusetzen war 1928 sogar noch weniger kompliziert gewesen. Seine nördliche Grenze wurde durch die oben erwähnte Breitengradlinie zwischen Liberia und Brasilien gebildet, die westliche von der gesamten Küste Südamerikas mit Ausnahme des Mündungsgebiets des Rio de la Plata; im Osten wurde der Ozean formell von der afrikanischen Küste unterhalb von Liberia begrenzt. Ausgespart blieb der Golf von Guinea in der »Achselhöhle« des Kontinents; er wurde mit einer zwischen Liberia und Angola gezogenen geraden Linie vom Atlantik abgetrennt, die südliche Grenze des Ozeans ließ die IHO von ihren Zeichnern relativ arbiträr durch eine von Kap Agulhas nach Kap Hoorn gezogene Linie angeben.
Heutzutage ist das alles viel komplizierter, und den neuen Richtlinien nach bedeckt der Atlantik einen viel größeren Teil der Oberfläche unseres Planeten als zuvor. Ein paar Zeilen aus der Publikation der IHO von 2002, die einem Teilabschnitt der nördlichen Grenze des Nordatlantiks gelten, reichen schon aus, um einen Eindruck von der heutigen Komplexität zu vermitteln:
»[…] von dort aus [verläuft die Grenze] entlang einer Linie, welche in südöstlicher Richtung Kap Edward Holm mit Bjartangar, dem äußersten westlichen Punkt von Island, verbindet, und von dort aus dann entlang der westlichen und der südlichen Küste Islands bis Stokksnes an der Ostküste Islands, anschließend in südöstlicher Richtung bis zum äußersten nördlichen Punkt der Färöerinsel Fuglöy; von dort aus entlang einer Linie, die diesen Punkt mit Muckle Flugga, dem nördlichsten Punkt der Shetlandinseln verbindet […]«
Das flächenmäßige »Anschwellen« des Ozeans ist vor
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