Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Meeresgrund Wasser ausfindig, dessen Temperatur ganz knapp über dem Gefrierpunkt lag, was auf die Existenz eines Tiefenstroms schließen ließ, der von der Antarktis nach Norden floss, und entdeckte – zum Entzücken der Zoologen – einen winzigen und überaus hübschen, Spirula spirula getauften Tintenfisch, der von einigen als missing link innerhalb des kürzlich von Darwin vorgestellten Schemas zum Ursprung und zur Entwicklung der Arten angesehen wurde. Das Schiff nahm schließlich wieder Kurs auf Portsmouth. Auf der letzten Etappe der Heimfahrt, vor Portugal, begegnete man einer großen Flotte von dort patrouillierenden britischen Kriegsschiffen, von denen eines die Bordkapelle auf dem Achterdeck »Home Sweet Home« anstimmen ließ. Als die Challenger endlich in Portsmouth am Kai festmachte, hatte sie an die siebzigtausend Meilen zurückgelegt.
Und was für eine ungeheure Ausbeute sie mit in die Heimat gebracht hatte. Hunderte von Kisten voller Exemplare von Tieren und Pflanzen, Flaschen mit Seewasser aus verschiedenen Tiefen und von verschiedenen Orten, Eprouvetten, Kilnergefäße und Petrischalen, gefüllt mit Schlick und Schleim, gallertartigen Tieren und Pflanzen. Es dauerte vier Jahre, bis man den ersten Band des offiziellen Expeditionsberichts im Druck vorlegen konnte, weitere fünfzehn – beinahe bis zum Ende des Jahrhunderts –, bis der letzte erschien. Der unglückliche Wyville Thomson wurde von dem starken Druck, den die Verleger unaufhörlich auf ihn ausübten, in den Wahnsinn getrieben und brach schließlich zusammen.
Alles in allem umfasste der Bericht achtzig Bände. Ihre Veröffentlichung war eine bewundernswerte intellektuelle Leistung; es handelte sich wohl um die umfassendste wissenschaftliche Untersuchung des Ozeans, die bis dahin unternommen worden war, und stellt bis zum heutigen Tag einen Meilenstein in der Geschichte der Ozeanografie dar. Die Informationen, die man zusammengetragen und anschließend in gedruckter Form weitergegeben hatte, waren zur damaligen Zeit mit der Gesamtsumme der menschlichen Kenntnisse über das Meer und vor allem über den Atlantischen Ozean identisch. Und basierend auf dieser Pionierleistung sollte die Ozeanografie sich kontinuierlich weiterentwickeln und zu dem werden, was sie heute ist: eine professionell betriebene wissenschaftliche Disziplin. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis sich die Seeoffiziere auf die Brücke zurückzogen und die Fachleute alles andere in die Hand nahmen – die Chemiker und Zoologen, die Physiker und Tiefseeforscher, die Paläoklimatologen sowie die Spezialisten für mathematische Modelle und für Bakterien, die bei extrem hohen Temperaturen existieren, sie alle haben aus der Wissenschaft vom Ozean etwas ganz anderes gemacht, als sie es in ihrer Anfangszeit gewesen war.
7. Kartierung
E s war unvermeidlich, dass dabei etwas von der Romantik verloren ging. Als die Ozeanografie im 20. Jahrhundert immer größere Fortschritte machte und dann anschließend einen regelrechten Boom erlebte, der sich auch in der Gründung von bedeutenden Institutionen wie 1892 von Scripps in Kalifornien, 1930 von Woods Hole in Massachusetts, 1949 von Lamont-Doherty in New York und dem National Oceanographic Centre in Southampton sowie der Einrichtung von kleineren europäischen Forschungsstationen und -instituten unter anderem in Roscoff und Kiel sowie auf Helgoland niederschlug, begann die Vision, das Bild vom Meer, das die Pioniere beflügelt hatte, etwas zu verblassen. Die tägliche Routine im Labor und vor dem Computer trat immer stärker an die Stelle der mitreißenden Dynamik der frühen Zeit: Die ständig schwankenden Horizonte, die wie Messer schneidenden Winde, der Geruch nach Fisch und Teer, die Knäuel von Tauen, das Schlagen der Segel, das Schreien der Möwen und das Stampfen von Schiffsmaschinen, das alles wich dem Summen von Geräten und Klimaanlagen und dem leisen Surren von Laserdruckern.
Fürst Albert I. von Monaco war einer der letzten begabten Amateure, die sich voller Leidenschaft auf dem Gebiet der Ozeanografie betätigten, bevor auch diese Disziplin der Technokratie anheimfiel. Er manifestierte dieses Interesse für alles Maritime in einer Periode des 19. Jahrhunderts, in der sich in Frankreich ganz generell eine – allerdings recht kurzlebige – Leidenschaft für das Meer ausbildete; und da es eine Passion war, von der vor allem auch die Aristokraten des Landes ergriffen wurden, die seit der Revolution von 1789 an einer
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