Der Atlantis-Komplex
das Rascheln von trockenem Laub.
Und so schob Butler sich nun quälend langsam durch den spätabendlichen Verkehr von Cancún, Kopf und Schultern gegen das Dach des Fiats gepresst. Da er kein Auto reservieren konnte, hatte er notgedrungen mit dem vorliebnehmen müssen, was der Dame von Hertz noch zur Verfügung stand. Ein Fiat 500. Très cool, wenn man ein schlanker Zwanzigjähriger auf dem Weg zur Poolparty war, aber höchst ungeeignet für einen Hundert-Kilo-Koloss.
Einen unbewaffneten Hundert-Kilo-Koloss , wie Butler soeben klarwurde. Normalerweise gelang es dem Leibwächter stets, ein paar Waffen zu der jeweiligen Veranstaltung mitzubringen, die er aufmischen wollte, doch in diesem Fall waren die öffentlichen Verkehrsmittel ausnahmsweise schneller gewesen als der Fowl’sche Jet, und so hatte Butler sein gesamtes Arsenal zu Hause lassen müssen, sogar seine geliebte SIG Sauer, was ihm fast eine Träne ins Auge getrieben hatte. Er war über Atlanta geflogen, und die Beamten bei den Sicherheitskontrollen waren dort bekanntermaßen unerbittlich, wenn jemand versuchte, Waffen in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln, erst recht, wenn dieser Jemand aussah, als könne er mit ein paar Patronengürteln das Weiße Haus im Alleingang einnehmen.
Seit er Artemis in Fowl Manor zurückgelassen hatte, wusste Butler nicht so recht, was er mit sich anfangen sollte. Nunmehr schon über fünfzehn Jahre verbrachte er fast seine gesamte Zeit mit Artemis – oder zumindest mit Dingen, die mit ihm zusammenhingen. Als er allein in der Business-Class des Transatlantikflugs saß, mit einer erzwungenen Auszeit von mehreren Stunden vor sich, hatte er vor lauter Sorge um seine Schwester nicht schlafen können, und so waren seine Gedanken automatisch zu Artemis gewandert.
Sein Schützling hatte sich in letzter Zeit verändert, da gab es keinen Zweifel. Seit seiner Rückkehr von der Rettung einer gefährdeten Spezies in Marokko vor ein paar Monaten verhielt er sich seltsam. Er wirkte noch verschlossener als sonst, und selbst in seinen besten Zeiten war er ungefähr so zugänglich wie ein Schweizer Tresorraum bei Nacht. Außerdem war Butler aufgefallen, dass Artemis geradezu zwanghaft darauf achtete, welche Dinge wo platziert waren − etwas, das er selbst auch stets im Blick hatte, denn in seinem Job musste er hinter jedem Gegenstand in einem Gebäude eine potentielle Waffe oder Kamera vermuten. Sobald Artemis in einen Raum kam, den sein Leibwächter gerade überprüft hatte, fing er jedoch an, alles wieder genau auf seinen ursprünglichen Platz zu räumen. Und die Art, wie er sprach, wirkte irgendwie »schief«. Artemis verwendete oft ungewöhnliche und sogar poetische Formulierungen. In letzter Zeit schien er allerdings weniger darauf zu achten, was er sagte, als darauf, wie viele Wörter er dafür brauchte.
Als die Boeing zum Landeanflug auf Atlanta ansetzte, beschloss Butler, zu Artemis senior zu gehen, sobald er wieder in Fowl Manor war, und ihm von seiner Sorge zu berichten. Es war nun einmal seine Aufgabe, Artemis vor jedweder Gefahr zu beschützen, und das war schwierig, wenn die Gefahr von Artemis selbst ausging.
Ich habe Artemis vor Trollen, Kobolden, Dämonen, Zwergengas und sogar vor Menschen beschützt, aber ich kann nicht dafür garantieren, dass meine Fähigkeiten ausreichen, um ihn vor seinen eigenen Gedanken zu schützen. Auch deshalb muss ich Juliet so schnell wie möglich finden und nach Hause bringen.
Nach einer Weile hatte Butler genug von dem Stop-and-go auf Cancúns Hauptverkehrsstraße und beschloss, zu Fuß weiterzugehen, da er so vermutlich schneller vorankam. Mit einem rasanten Schwenk fuhr er an einen Taxistand, stieg aus, ohne die empörten Rufe der Fahrer zu beachten, und lief in zügigem Trab an der langen Reihe von Fünf-Sterne-Hotels vorbei.
Es würde nicht schwierig sein, Juliet zu finden, denn ihr Gesicht prangte überall auf den Plakatwänden der Stadt.
Slam! Lucha im Teatro Grande – nur eine Woche!
Butler gefiel Juliets Gesicht auf den Plakaten nicht sonderlich. Der Künstler hatte ihr hübsches Gesicht so verändert, dass sie aggressiver wirkte, und die Kampfhaltung hatte sie vermutlich extra für die Aufnahme eingenommen. Sah zwar eindrucksvoll aus, war aber äußerst unprofessionell und bot jede Menge Platz für einen Haken in die Nieren.
So würde Juliet sich niemals einem Angreifer stellen.
Seine Schwester war ein echtes Naturtalent, was die Kampfsportarten anging, und zu stolz, um
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