Der Atlantis-Komplex
Sam«, zischte sie. »Ich krieg keine Luft mehr.«
Samsonetta stampfte mit dem flachen Fuß auf die Matte, dass ein dumpfes Dröhnen durch den Zuschauerraum hallte, und tat so, als wolle sie Juliet den Hals umdrehen.
»Das ist doch der Zweck der Übung, Jules«, flüsterte sie mit leicht schwedischem Singsang. »Ich heize die Leute auf, und dann legst du mich flach.«
Juliet wandte das Gesicht zu den etwa dreitausend Zuschauern und stieß einen dramatischen Schmerzensschrei aus.
»Töte sie!«, brüllten die Netten.
»Töte sie und reiß sie in Stücke!«, brüllten die Nicht-so-Netten.
»Töte sie, reiß sie in Stücke und trampel darauf herum!«, brüllten die wirklich unsympathischen Leute im Publikum, die meist an den brutalen Sprüchen auf ihrem T-Shirt und am Sabber in den Mundwinkeln zu erkennen waren.
»Vorsicht, Sam. Meine Maske verrutscht.«
»Und was für eine hübsche Maske.«
Juliets ganzes Outfit war so hübsch, dass es allein ausreichte, um sie zur Favoritin der Zuschauer zu machen: ein jadegrünes, hautenges Trikot und eine schmale Augenmaske, die in Wirklichkeit ein Gelpack mit Glitter war.
Wenn ich schon eine Maske tragen muss , hatte Juliet sich gedacht, kann ich auch gleich eine nehmen, die gut für die Haut ist .
Die beiden bereiteten sich auf Samsonettas Markenzeichen vor: einen Overhead Drop, verstärkt durch die Kraft ihrer unglaublichen Arme. Sofern ihre Gegnerinnen nach diesem Manöver noch einen Funken Energie in sich hatten, ließ Sam sich normalerweise einfach auf sie fallen, und damit war die Sache erledigt. Doch da Juliet der Liebling des Publikums war, würde es nicht auf die normale Tour laufen. Beim Wrestling wollten die Zuschauer ihren Helden − oder ihre Heldin − möglichst weit unten sehen, aber natürlich nicht ausgezählt.
Sam kündigte ihren nächsten Schritt an, indem sie die Zuschauer fragte, ob sie den Body Slam sehen wollten.
»Wollt ihr es?«, rief sie mit übertriebenem Akzent.
»Ja!« , brüllten alle und stießen mit der Faust in die Luft.
»Wollt ihr den Body Slam?«
»Slam!«, riefen sie im Chor. »Slam! Slam!«
Ein paar riefen andere, derbere Sachen, aber die Männer von der Security kreisten sie sofort ein.
»Ihr wollt den Slam? Dann kriegt ihr den Slam!«, rief Samsonetta, um die Menge noch weiter aufzuheizen.
Dann beugte sie sich nach hinten und schleuderte die unglückselige Jadeprinzessin auf die Matte.
Und damit wäre der Kampf zu Ende gewesen, hätte die Jadeprinzessin es nicht irgendwie geschafft, sich in der Luft herumzudrehen und auf ihren Zehen und Fingerspitzen zu landen. Und das war noch nicht mal der beeindruckende Teil. Der bestand darin, aus dieser Hocke hochzuspringen und ihren Kopf herumzuwerfen, so dass der Jadering, der in ihren blonden Pferdeschwanz geflochten war, Samsonetta einen satten Kinnhieb verpasste und die Riesin der Länge nach auf den Boden warf.
Samsonetta heulte und jammerte, rieb sich das Kinn, damit es rot wurde, und rollte sich hin und her wie ein Walross auf einem heißen Felsen.
Sie war eine gute Schauspielerin, und einen Moment lang fürchtete Juliet schon, der Jadering hätte sie wirklich verletzt, doch dann zwinkerte Sam ihr verstohlen zu, und sie wusste, dass alles nur Spiel war.
»Hast du genug, Samsonetta?«, fragte Juliet und sprang elegant auf das oberste Seil. »Oder willst du noch mehr?«
»Nein«, schniefte ihre angebliche Gegnerin. »Mir reicht’s.«
Juliet wandte sich an das Publikum. »Soll ich ihr noch was geben?«
Oh nein , antwortete ein imaginäres Publikum. Noch mehr wäre barbarisch.
Doch das echte Publikum rief Dinge wie:
»Töte sie!«
»Mach sie platt wie eine Flunder!« (Was bei Samsonettas Körperbau höchstens mit einer Walze zu bewerkstelligen gewesen wäre.)
»Zeig ihr, was Schmerz ist!« (Wobei der Rufer davon auszugehen schien, dass bisher nur Kitzeleien ausgetauscht worden waren.)
Ich liebe diese Leute , dachte Juliet und sprang vom Seil, um ihrer Gegnerin den coup de grâce zu versetzen.
Es wäre ein Schmuckstück geworden, ein hübscher kleiner Double Flip, abgerundet mit einem netten Ellbogenhieb in den Magen, doch plötzlich trat jemand aus dem Schatten, schnappte Juliet in der Luft und schleuderte sie grob in die Ecke des Rings. Mehrere weitere muskelbepackte Angreifer stürzten sich auf Juliet, bis von ihr nur noch ein grün gekleidetes Bein zu sehen war.
Butler, der in der Dunkelheit hinter einem der Scheinwerfer stand und alles verfolgte, spürte, wie
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