Der Atlantis-Komplex
klebrigen Schicht aus Nanoplättchen zu blinzeln.
»Hmpf«, ächzte er. »Chkrieekeineluff.«
»Warte«, sagte Holly und wischte ihm mit ihrem Ärmel das Zeug aus dem Gesicht. »Ich helfe dir.«
Artemis’ eigene Erfindung tropfte ihm aus Mund und Nase. Irgendetwas an seinen Augen war anders. Sie sahen genauso aus wie sonst, wirkten aber sanfter.
Unsinn, das bilde ich mir ein.
»Artemis?«, sagte Holly und rechnete halb mit einer schnippischen Entgegnung à la Natürlich bin ich’s. Wen hast du denn erwartet? Doch stattdessen kam nur ein schlichtes »Hallo«.
Was Holly vollkommen zufriedenstellte, bis er fragte: »Und wer sind Sie?«
Oooh, d’Arvit.
Holly nahm den Helm ab. »Ich bin’s, Holly.«
Artemis lächelte erfreut. »Ach ja, natürlich. Artemis denkt andauernd an Sie. Wie peinlich, dass ich Sie nicht erkannt habe. Aber es ist das erste Mal, dass wir uns so nah sind.«
»Äh … Artemis denkt an mich. Und du nicht?«
»Oh doch, unablässig. Und wenn ich das sagen darf, in Fleisch und Blut sehen Sie noch bezaubernder aus.«
Eine ungute Vorahnung senkte sich über Holly wie der Schatten einer Gewitterwolke.
»Wir sind uns also noch nicht begegnet?«
»Noch nicht im eigentlichen Sinne«, erwiderte der Menschenjunge. »Selbstverständlich habe ich Sie wahrgenommen, aber sozusagen nur aus der Ferne, denn ich war vollkommen unterdrückt von Artemis’ Persönlichkeit. Danke übrigens, dass Sie mich befreit haben. Ich bin schon seit einer ganzen Weile dabei, mich in sein Bewusstsein vorzuarbeiten, insbesondere seit Artemis diesen kleinen Zahlentick entwickelt hat, aber die Ladung, die Sie ihm verpasst haben, war genau das, was ich brauchte. Sie kam aus Ihrer Waffe, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Holly verwirrt. »Und gern geschehen, wenn auch unbeabsichtigt.« Plötzlich kam ihr eine Idee. »Wie viele Finger halte ich hoch?«
Der Junge warf einen kurzen Blick auf ihre Hand. »Vier.«
»Und das macht dir nichts aus?«
»Nein. Für mich ist eine Zahl nur eine Zahl. Die Vier ist ebenso wenig ein Todesbote wie sämtliche anderen ganzen Zahlen. Brüche hingegen, die sind unberechenbar.«
Der Junge lächelte über seinen eigenen Scherz. Es war ein so ehrliches, gutherziges Lächeln, dass Artemis bei dem Anblick übel geworden wäre.
Holly ließ sich auf die Psychose ein und fragte: »Wenn du nicht Artemis Fowl bist, wer bist du dann?«
Der Junge streckte ihr seine tropfende Hand entgegen. »Ich heiße Orion. Ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen, und selbstverständlich bin ich Ihr ergebener Diener.«
Holly nahm die angebotene Hand. Manieren sind ja was Feines , dachte sie, aber was wir jetzt brauchen, sind Genialität und Skrupellosigkeit, und danach sieht dieser Junge nicht aus .
»Das ist prima, äh … Orion. Wirklich. Wir stecken nämlich ganz schön in Schwierigkeiten, und da kann ich jede Hilfe gebrauchen.«
»Ausgezeichnet«, sagte der Junge. »Ich habe die Ereignisse sozusagen vom Rücksitz verfolgt, und ich schlage vor, dass wir uns an einen sicheren Ort zurückziehen und dort ein Biwak aufschlagen.«
Holly stöhnte. Artemis hatte sich aus seinem eigenen Kopf verabschiedet, und das ausgerechnet jetzt.
Foaly kletterte aus dem Morast aus Nanoplättchen und schob mit seinen Fingern die klebrigen weißen Vorhänge beiseite, die seine Sicht behinderten.
»Wie ich sehe, ist Artemis wieder munter. Wunderbar. Wir könnten jetzt nämlich gut einen seiner scheinbar idiotischen, in Wirklichkeit aber genialen Pläne gebrauchen.«
»Ein Biwak«, sagte der Junge in Artemis’ Kopf. »Wir sollten ein Biwak aufschlagen und Feuerholz sammeln und ein paar Blätter als Unterlage für die bezaubernde Dame.«
»Feuerholz? Artemis Fowl schlägt vor, Feuerholz zu sammeln? Und wen, bitte, meint er mit der bezaubernden Dame?«
Plötzlich frischte der Wind auf, riss den losen Schnee mit sich und ließ ihn über das Eis tanzen. Holly spürte, wie einige Flocken auf ihrem ungeschützten Hals landeten, und eine eisige Kälte kribbelte ihr den Rücken hinunter.
Die Lage ist ernst , dachte sie. Und sie wird immer ernster. Wo sind Sie, Butler? Warum sind Sie nicht hier?
Kapitel 4
Zombie-Alarm
Cancún, Mexiko, am Abend zuvor
B utler hatte für seine Abwesenheit in Island eine Entschuldigung, die vor jedem Gericht Bestand hätte und möglicherweise sogar vor einem Schuldirektor. Genau genommen, hatte er sogar mehrere Entschuldigungen.
Erstens: Sein Arbeitgeber und Freund hatte ihn auf eine
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