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Der Atlantis-Komplex

Der Atlantis-Komplex

Titel: Der Atlantis-Komplex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin Colfer
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menschlichen Maßstäben war Atlantis klein. Mit nicht einmal zehntausend Einwohnern hätten die Oberirdischen es kaum als Stadt angesehen, aber für die Unterirdischen war es das zweitgrößte Regierungs- und Kulturzentrum nach der Hauptstadt Haven City. Es gab eine wachsende Lobby, die Atlantis vollständig zerstören wollte, weil der Erhalt Unsummen an Steuern verschlang und es nur eine Frage der Zeit war, bis die Menschen eine ihrer ferngesteuerten Raketen auf die Stelle lenkten und die Kuppel zerstörten. Aber die Kosten für die Umsiedlung und den Abriss waren so gewaltig, dass der Erhalt den Politikern dann doch immer wieder als das kleinere Übel erschien. Auf lange Sicht war es teurer, aber die Politiker gingen davon aus, dass sich zu dem Zeitpunkt, wo die lange Sicht vorüber war, jemand anders damit herumschlagen musste.
    Vishby führte Turnball Root durch eine transparente Verbindungsröhre, durch die man Dutzende von Shuttles und Kapseln sehen konnte. Sie warteten an den verschiedenen Druckschutz-Mautschleusen, wo man per Kreditchip eine Gebühr bezahlen und dann die Kuppel verlassen konnte. Nirgends war ein Anzeichen von Panik zu erkennen. Warum auch? Die Einwohner von Atlantis waren stets auf einen möglichen Kuppelbruch vorbereitet, seit vor über achttausend Jahren ein Asteroid drei Kilometer tief ins Meer eingetaucht war und, nachdem er seine Hitze an das Wasser abgegeben hatte, mit letzter Kraft ein crunchballgroßes Stück aus der damals noch nicht bruchsicheren Kuppel geschlagen hatte. Innerhalb von nicht einmal einer Stunde hatte es in der Stadt über fünftausend Tote gegeben. Es hatte rund hundert Jahre gedauert, die Stadt auf den Ruinen wieder aufzubauen, und diesmal hatte man ein ausgeklügeltes Evakuierungssystem vorgesehen, so dass im Notfall sämtliche Einwohner, vom Kleinkind bis zum Urgroßvater, in weniger als einer Stunde aus der Stadt gebracht werden konnten. Jede Woche wurden Übungen abgehalten, und der erste Reim, den jedes Kind im Kindergarten lernte, lautete:
    Gibt’s einen Riss
    In der Kuppel von Blau,
    Dann, sei gewiss,
    Ist’s Zeit für EV .
    Turnball Root erinnerte sich an den Spruch, als er Vishby durch den Gang folgte.
    Blau –  EV ? Was ist das denn für ein Reim? EV ist ja nicht mal ein richtiges Wort, sondern bloß eine Abkürzung aus dem Militärjargon. Genau die Art von Kauderwelsch, die Julius immer verwendet hat.
    Wie gut, dass Leonor meinen ungehobelten Bruder nie kennengelernt hat. Sonst hätte ich sie selbst mit der gesamten Magie Erdlands nicht dazu bringen können, mich zu heiraten.
    Irgendwo in seinem Innern wusste Turnball, dass er Leonor vom Erdvolk fernhielt, weil ein zehnminütiges Gespräch mit jedem beliebigen Unterirdischen ausgereicht hätte, um ihr klarzumachen, dass ihr Ehemann keineswegs der edle Revolutionär war, für den er sich ausgab. Glücklicherweise war Turnball mittlerweile sehr geschickt darin, die Sehnsucht, die er in der Tiefe seiner Seele verspürte, zu ignorieren.
    Weitere Gefangene wurden von ihren Zellen über schmale Brücken auf den Hauptgang gebracht. Alle trugen Handschellen und den limonengrünen Sträflingsoverall von Deeps. Die meisten von ihnen spielten den Coolen, mit lässigem Schritt und verächtlicher Miene, aber Turnball wusste aus Erfahrung, dass es die mit den gleichmütigen Gesichtern waren, vor denen man sich in Acht nehmen musste. Das waren die, die nichts mehr zu verlieren hatten.
    »Los, vorwärts, Gefangene«, rief ein Riesenwichtel, der aussah wie ein Neandertaler. Diese Unterart kam in Atlantis öfter vor, wegen des hohen Umgebungsdrucks. »Bewegung da vorne, sonst kriegt ihr meinen Elektrostock zu spüren.«
    Immerhin trage ich meine volle Ausgehuniform , dachte Turnball und ignorierte den Aufseher. Doch das half auch nicht viel. Uniform hin oder her, er wurde wie ein ganz gewöhnlicher Sträfling den Gang entlanggescheucht. Er tröstete sich mit dem Beschluss, Vishby in jedem Fall zu töten, und zwar so bald wie möglich. Vielleicht würde er Leeta, Vishbys Freundin, eine Mail schicken und ihr zu ihrem neuen Singledasein gratulieren. Wahrscheinlich wäre sie begeistert.
    Vishby hob die Faust und brachte die Prozession an einer Kreuzung zum Stehen. Die Gefangenen mussten wie eine Viehherde warten, während ein Schwebekarren mit einem großen, mit Titanbändern gesicherten Metallwürfel an ihnen vorüberglitt.
    »Das ist Opal Koboi«, erklärte Vishby. »Sie ist so gefährlich, dass sie sie nicht mal aus

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