Der Atlantis-Komplex
ich niemals tun. Niemals.«
»Also gut, dann verrate ich es dir. Ich habe Großer Gott gesagt, weil ich dachte, ich sei gestorben und du wärst ein starker, schöner Engel, der mich in den Himmel bringen sollte.«
Turnball lachte nicht, und er fand es auch nicht albern. In dem Augenblick wurde ihm klar, dass diese hinreißende zierliche Frau die Liebe seines Lebens war und dass er sie haben musste.
Und als Leonor von ihrer Rückkehr nach New York zu sprechen begann und davon, dass Turnball die Sensation der City sein würde, stach er sich mit einem Federkiel in den Daumen, malte mit dem Blut eine Bannungsrune und bereitete sich eine Mahlzeit aus Alraunenwurzel und Reiswein zu.
Venedig, Italien, Gegenwart
Der riesige Amorphoboter trug Turnball Root zu seiner Liebsten, die am Anleger ihres gemeinsamen Hauses in Venedig auf ihn wartete. Das Haus war vier Stockwerke hoch, im Jahr 1798 von Turnball selbst entworfen und aus feinstem italienischen Marmor gebaut, der mit unterirdischen Polymeren verstärkt war, um Risse aufgrund der absackenden Fundamente zu vermeiden. Die Reise dauerte mehrere Stunden, und der Amorphoboter sorgte währenddessen dafür, dass Turnball und seine Kumpane am Leben blieben, indem er in regelmäßigen Abständen auftauchte, um seine Zellen mit Sauerstoff zu füllen. Von Zeit zu Zeit tropfte er ihnen durch Geldornen eine Nährsalzlösung in den Arm. Turnball loggte sich in den Computer im Bauch des Bots ein, um zu überprüfen, ob alles für den nächsten Teil seines Plans bereit war.
Dabei stellte er fest, dass es ihm sehr behagte, in dieser geschützten Umgebung zu arbeiten, während draußen die Welt vorbeiflitzte. Er war von allem abgeschottet und hatte doch alles unter Kontrolle.
Und er war in Sicherheit.
Obwohl die Gelmaske seine Sicht trübte, bemerkte Turnball, dass Bobb Ragby und Ching Mayle ihn seit ihrer spektakulären Flucht geradezu mit Verehrung ansahen. Das gefiel ihm.
Doch als sie sich der italienischen Küste näherten, spürte Turnball, wie er seine selbstgefällige Ruhe verlor und eine Schlange der Nervosität in seine Eingeweide kroch.
Leonor. Wie habe ich dich vermisst.
Seit Turnball in seiner Zelle einen Computer bekommen hatte, war kaum ein Tag vergangen, an dem sie sich nicht geschrieben hatten, aber Leonor weigerte sich, mit ihm über Video zu telefonieren, und natürlich wusste Turnball, warum.
Für mich wirst du immer schön sein, mein Liebling.
Der Amorphoboter schnurrte durch Venedigs Canal Grande, wich dabei den Müllhaufen und den Skeletten etlicher ermordeter Prinzen aus und hielt schließlich vor dem einzigen Unterwassertor, das mit einem Omnisensor ausgestattet war. Der Bot zwinkerte dem Omnisensor zu, der zwinkerte zurück, und nachdem alle nötigen Freundschaftsbekundungen ausgetauscht waren, öffnete sich das Tor, anstatt sie mit den Neutrino-Harpunen aufzuspießen, die verdeckt in die Stützpfeiler eingebaut waren.
»Na, da haben wir ja noch mal Glück gehabt«, sagte Turnball scherzhaft zu seiner Crew. »Dieses Tor ist bisweilen etwas unfreundlich.« Das zähe Gel, das ihm gegen die Zähne drückte, machte das Sprechen etwas beschwerlich, aber Turnball fand, die Bemerkung war es wert. Leonor würde sie gefallen.
Turnballs Crew antwortete nicht. Ihr Abteil in dem Gel-Bot war ein wenig enger als das ihres Captains. Sie waren zusammengepfercht wie Salzschnecken in einer Waffel.
Der Bot machte sich lang und schmal, um den engen Kanal zu Turnballs unterirdischem Anleger passieren zu können. Lichtstreifen, die matt in der Dunkelheit leuchteten, führten sie unter das Haus. Immer tiefer tauchten sie, bis der Bot den Captain schließlich sanft auf eine Rampe spuckte. Turnball rückte seinen Uniformrock zurecht, band sich die Haare zusammen und ging langsam über die Rampe auf die zierliche Gestalt zu, die im Schatten wartete.
»Schick die anderen schlafen«, sagte er zu dem Bot. »Ich muss mit meiner Frau sprechen.«
Der Bot ließ eine Plasmaladung durch seinen Gelkörper zucken, die die drei Unterirdischen sofort ausschaltete. Unix hatte kaum Zeit, die Augen zu verdrehen, da war er schon weg.
Zögernd trat Turnball einen Schritt vor, nervös wie ein halbwüchsiger Elf vor seinem ersten Mondflug. »Leonor? Meine Liebste. Ich bin wieder da. Komm und küss mich.«
Seine Frau kam aus der Dunkelheit geschlurft, schwer auf einen Stock mit elfenbeinernem Griff gestützt. Ihre Finger waren verkrümmt, mit rheumatisch geröteten Knöcheln, und ihr Körper
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