Der Attentäter - The Assassin
Abfertigungsstelle für den kommerziellen Güterverkehr hatte seit Mitternacht geschlossen. Wenn der Computer eine Kontaktaufnahme zu dem Zollbroker oder eine Inspektion der Ladung empfahl, konnte das nicht sofort erledigt werden, und
er musste vermutlich mit einer Auseinandersetzung mit dem Fahrer rechnen, mit einem verbalen Schlagabtausch, wie er ihn Dutzende von Malen pro Tag zu ertragen hatte. Die meisten Fahrer waren nicht erfreut über die Verzögerung, auch wenn sie diese gewöhnlich selbst verschuldet hatten.
Der Fahrer kurbelte das Seitenfenster herunter. »Tag, wie geht’s?«
»War schon mal besser«, antwortete Logan, den Fahrer musternd. Ende dreißig, struppiges braunes Haar, braune Augen, unrasiert. Der Kragen seines karierten Flanellhemdes war hochgeklappt. Er wirkte müde, doch das war bei fast allen seinen Kollegen so. Offenbar anstrengend, das Geld für die Rechnungen so zu verdienen, dachte Logan. Jetzt wusste er seinen Job ein bisschen mehr zu schätzen. Ein bisschen.
»Haben Sie alle Papiere?«
Der Fahrer reichte ihm zwei Blätter. Logan überflog sie schnell und nickte zufrieden. Das Transportunternehmen - wie alle anderen, die kommerzielle Güter in die Vereinigten Staaten importierten - hatte sich einverstanden erklärt mit dem Pre-Arrival Processing System, auch unter dem Kürzel PAPS bekannt. Der Vorteil dieses relativ neuen Systems bestand in der schnellen Erledigung des Papierkrams, wodurch es auf der Brücke weniger erzwungene Wartepausen gab. Als die 1999 in Betrieb genommene Abfertigungsstelle für den kommerziellen Güterverkehr noch nicht existierte, hatte es täglich in über siebenhundert Fällen Probleme wegen unvollständiger Papiere gegeben, und da fast viertausend Fahrzeuge die Brücke überquerten, war sie zu einem absoluten Nadelöhr geworden. Durch die Eröffnung der Abfertigungsstelle und die Einführung des PAPS-Systems hatte sich die Lage deutlich entspannt.
Das erste Dokument war das Zollformular 7533, die Ladungsliste
mit aufgeklebtem PAPS-Strichcode, das zweite die Rechnung. Deren Vorlage war nicht zwingend erforderlich, aber die meisten Fahrer präsentierten sie ungefragt. Logan überflog noch einmal das Zollformular und blickte auf seinen Monitor. Der Aufkleber mit dem Strichcode hatte nichts zu bedeuten - jedes beim Zoll registrierte Transportunternehmen konnte ihn bekommen oder sogar selbst ausdrucken. Sobald er auf der Ladungsliste klebte, war das Transportunternehmen verpflichtet, diese an einen amerikanischen Zollbroker zu schicken, der das Dokument an den Zoll weiterleitete. Wenn das nicht passiert war, blinkte auf dem Monitor die Anordnung auf, eine genauere Inspektion des Lastwagens zu veranlassen, was für den Fahrer eine lange Wartezeit bedeutete.
In diesem Fall gab es allerdings nichts zu beanstanden, und als auf dem Bildschirm die Meldung »Keine Inspektion« erschien, hieß das für Logan, den Laster durchzulassen. Zweiundachtzig Prozent aller täglich vorfahrenden Lastwagen konnten ohne weitere Kontrollen die Grenze passieren.
»Sieht so aus, als könnten Sie gleich wieder Gas geben.« Nach einem letzten Blick auf die Ladungsliste gab er die Papiere zurück. »Ziemlich schwere Fracht.«
Der Fahrer grinste. »Einer unserer Kunden hat uns einen Sonderpreis für den Dampfkessel gemacht. Wir brauchen ihn selbst … Der alte in unserer Niederlassung in Ithaca hat vor einer Woche den Geist aufgegeben.«
Logan lachte. »Die armen Schweine, bei der Kälte. Kaum zu glauben, dass wir erst September haben. Die Jungs von der Nachtschicht müssen sich den Arsch abfrieren.«
»Wenn ich nicht hier wäre, hätte ich auch Nachtschicht. Dies ist einer der seltenen Fälle, wo ich glücklich bin, hinter dem Steuer zu sitzen.«
Logan grunzte zustimmend. »Okay. Gute Fahrt und willkommen in den Vereinigten Staaten.«
Will Vanderveen legte den Gang ein und lächelte. »Danke. Immer schön, wieder zu Hause zu sein.«
46
Washington, D. C.
Kealey wachte abrupt auf. Sein Blick glitt zu dem auf dem Nachttisch stehenden Wecker - kurz nach halb sechs. Er blickte nach links, wo Naomi liegen musste, stellte aber überrascht fest, dass ihr Platz leer war. Durch die Ritze unter der Tür zum Bad fiel kein Licht. Sie musste in ihr Zimmer zurückgegangen sein, während er schlief, und er fragte sich, was das bedeutete. Bereute sie, was passiert war? Oder war es ihr unangenehm, in Harpers Haus bis zum Morgen in seinem Zimmer zu bleiben?
Er stand auf und trat ans Fenster. Es
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