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Der Attentäter - The Assassin

Der Attentäter - The Assassin

Titel: Der Attentäter - The Assassin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Britton
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auch.«
    Sie setzte sich neben ihn und lehnte sich an das Kopfbrett. Ein paar Minuten blieben sie schweigend so sitzen, dann sagte sie: »Ich bin noch unten geblieben, als du auf dein Zimmer gegangen bist.« Sie schwieg kurz. »Julie und ich haben uns weiter unterhalten.«
    Er wurde sofort misstrauisch, sagte aber nichts.
    »Sie hat von deinem letzten Besuch in diesem Haus erzählt. Als Katie mit dir eingeladen war.« Sie wartete vergeblich auf eine Reaktion. »Hast du je …«
    »Was willst du von mir, Naomi?«

    Der verbitterte, wütende Tonfall ließ sie erstarren. Seine Stimmung hatte sich abrupt verdüstert, als hätte man einen Schalter umgelegt. Als der Schock nachzulassen begann, wurde ihr klar, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Sie sprang aus dem Bett, um das Zimmer zu verlassen, doch bevor sie den ersten Schritt tun konnte, spürte sie eine Hand auf ihrem Arm.
    »Warte … Es tut mir leid«, sagte er reumütig. »Es war nicht so gemeint. Geh nicht.«
    Sie war verunsichert, setzte sich aber schließlich wieder neben ihn. Ihre Gedanken rasten, ihre Glieder zitterten. Eine innere Stimme riet ihr, den Mund zu halten. Also lehnte sie sich erneut an das Kopfbrett, ihre Fragen mühsam zurückhaltend.
    »Ich habe nie darüber geredet«, fuhr er fort. »Mit niemandem. Es war nicht meine Absicht …«
    »Schon gut«, antwortete sie leise. »Es war meine Schuld. Ich hätte es nicht ansprechen sollen.«
    »Nein, ich will es dir erzählen.« Dann, nach kurzem Schweigen: »Ich muss es dir erzählen.«
    Das Warten schien eine Ewigkeit zu dauern. Sie schaute auf ihre Hände und war zu nervös, um ihm in die Augen zu blicken. Schließlich redete er weiter. Sein abwesend wirkender Tonfall klang, als säße er nicht mehr neben ihr. Stattdessen durchlebte er noch einmal jene schreckliche Nacht in Maine.
    »Als ich zurückkam, war es schon spät. Es wütete ein fürchterlicher Sturm, und die Straßen waren …« Er beendete den Satz nicht und setzte neu an. »Nach allem, was gerade passiert war, konnte ich nur noch daran denken, sie wiederzusehen. Es war endlich vorbei. Ich wusste, dass Vanderveen nicht tot war. Wir alle wussten es, aber wir hatten den Anschlag in Washington verhindert, und das schien fürs Erste zu reichen. Ich dachte,
wir würden ihn schon noch fassen. Irgendwann würde er in Afrika oder Europa auftauchen, und wir würden ihn uns schnappen. Doch als ich in jener Nacht das Haus betrat, sah ich ihn dort stehen, mit dem Messer an ihrer Kehle, und ich … Ich konnte es einfach nicht fassen.« Er verstummte. Dann, nach einer weiteren langen Pause: »Ich habe nie ihr Grab gesehen, Naomi. Sie ist durch meine Schuld gestorben, und ich habe nie ihr Grab gesehen.«
    Als ihr die abgrundtiefe Trauer in seiner Stimme bewusst wurde, hob sie schließlich den Blick. Seine Augen waren geschlossen, die Wangen feucht. Sie spürte einen plötzlichen Schmerz in ihrer Brust. Was dann geschah, entzog sich ihrer Kontrolle. Sie wischte ihm zärtlich mit dem Handrücken die Tränen ab und nahm ihn in den Arm. Er wehrte sich nicht, zeigte aber keine Reaktion.
    Für einen langen Augenblick rührte sich keiner der beiden. Sie konnte seine schmerzerfüllte Miene nicht deuten, wusste nicht, zu welchen Teilen sich Trauer und sein Schuldgefühl darin mischten. Aber es schien ihr auch ziemlich egal zu sein. Wichtig war, dass er endlich darüber redete. Ihm liefen noch immer Tränen über die Wangen, seine Schultern zitterten. Sie empfand einen seltsamen Stolz, weil er sie auserwählt hatte, weil er ihr offenbarte, was er für fast ein Jahr in seinem Inneren verborgen gehalten hatte. Als er schließlich den Kopf hob, wandte er den Blick ab, als wäre er beschämt, seine Gefühle zu zeigen. Verzweifelt versuchte sie, sich die richtigen Worte einfallen zu lassen, um das Schweigen zu brechen. Er sollte sich seiner Tränen nicht schämen. Er hatte sie lange genug zurückgehalten.
    »Es war nicht deine Schuld, Ryan. Sie ist nicht durch deine Schuld gestorben. Du kannst es dir nicht antun, dich weiter selbst anzuklagen.«

    »Ich konnte sie nicht beschützen«, murmelte er. »Ich habe sie im Stich gelassen, als sie mich am meisten brauchte. Ihr letzter Blick war …«
    Sie war erschüttert, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. Dann löste sie die Umarmung und legte eine Hand auf seinen Arm. »Sieh mich an, Ryan.« Offenbar noch ganz von seinem seelischen Schmerz gefangen genommen, dauerte es lange, bis er den Kopf hob, doch

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