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Der Attentäter - The Assassin

Der Attentäter - The Assassin

Titel: Der Attentäter - The Assassin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Britton
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auf dem Fuße. Sie wurden nicht gefilzt. Daraus schloss Al-Umari, sein Gastgeber wäre noch nicht da, doch diese Annahme war hinfällig, als er das nächste Zimmer betrat.
    Eine nackte Glühbirne an der Decke warf gelbliches Licht auf bemalte Türen und etliche kunstvolle Wandteppiche, die einen fast vergessen ließen, dass es keine Fenster gab. Auf dem Boden lagen Perserteppiche, und der schwarz-weiße Marmor war nur in der hinteren Ecke des geräumigen Zimmers zu sehen. Zwischen zwei Sofas in auffällig modernem Design stand ein niedriger Holztisch.
    Trotz der außergewöhnlichen Inneneinrichtung wurde al-Umaris Blick aber magnetisch angezogen von dem auf ihn wartenden Mann, und in diesem Moment wusste er, dass es richtig gewesen war, hierherzukommen, dass die Arbeit der letzten Jahre nicht vergeblich gewesen war.
    Als er ihre Schritte hörte, blickte der Mann auf. Er war hohlwangig und erstaunlich blass, doch al-Umari hatte etwas Ähnliches erwartet. Er wusste, dass Izzat Ibrahim al-Douri, dem ehemaligen Vizepräsidenten des Irak und Vorsitzenden des Revolutionären Kommandorats, seit Jahren etliche Leiden zu schaffen machten. In vielen westlichen Medien wurde angenommen, al-Douri, der auf Mitte sechzig geschätzt wurde, sei im November 2005 an Leukämie gestorben. Die BBC hatte die Story gebracht, ohne ihre Quelle preiszugeben, doch das amerikanische Außenministerium, das sich nicht in der Lage sah, den Bericht zu bestätigen, suchte weiter nach ihm und hatte immer noch ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar für seine Festnahme ausgesetzt.
    Obwohl er nach al-Sarkawis Tod im Juni 2006 der meistgesuchte Iraker war, hatte er an seinem Äußeren nichts verändert
und war gut zu erkennen. Sein schütteres Haar war nach hinten gekämmt, die Augen wurden durch dicke Brillengläser vergrö ßert. Sein Mund, der sich zu einem dünnen Lächeln verzog, war kaum sichtbar unter dem dichten Schnurrbart. Er stand auf und trat auf seinen Gast zu.
    »Willkommen, Raschid.«
    Al-Umari schien es die Sprache verschlagen zu haben. Als er al-Douri zum letzten Mal gesehen hatte, war er ein Junge von vierzehn Jahren gewesen. Es war eine andere Zeit, eine Zeit, zu der sein Vater den Zenith seiner Macht erreicht hatte. Als er jetzt vor diesem Mann stand, einem der letzten hohen Repräsentanten des alten Regimes, wurde er plötzlich von Emotionen überwältigt. »Genosse«, brachte er mühsam hervor, »es ist mir eine Ehre …«
    Er war entsetzt über seine unbeholfene Vorstellung, doch al-Douri lächelte beruhigend und packte mit seinen knochigen Fingern und erstaunlicher Kraft al-Umaris Schultern. Der war tief bewegt von der Geste.
    »Nein, mein Freund«, sagte al-Douri sanft. »Ich fühle mich geehrt.« Er wies auf die Sofas. »Setz dich. Du musst müde sein. Hattest du eine angenehme Reise?«
    Als sie Platz genommen hatten, trat ein Leibwächter vor und flüsterte al-Douri etwas ins Ohr. Der nickte, und der Mann verschwand.
    »Eine sehr angenehme, Genosse. Sie zog sich in die Länge, aber der Weg hat sich gelohnt.«
    »Gut.« Al-Douri schwieg kurz, und das Lächeln verschwand. »Es hat mich geschmerzt, von deinem Verlust zu hören. Du hast mein Mitgefühl und das unserer Landsleute. Ich denke, dieser Krieg hat über uns alle Leiden gebracht.«
    »Ja.«

    »Dein Vater war ein großartiger Mann. Es war eine Ehre für mich, ihn zu kennen.«
    »Danke.«
    »Und deine Mutter.« Al-Douri sprach jetzt sehr leise, und seine hellbraunen Augen blickten al-Umari direkt an. »Und deine Schwester … Es ist eine Tragödie.«
    Al-Umari wusste nicht, was er sagen sollte. Einmal mehr sah er sich an dem offenen Grab auf dem al-Kharkh-Friedhof stehen, schweigend, mit geballten Fäusten... Er bekam kaum Luft, und seine Augen brannten, doch er wollte in der Gegenwart dieses Mannes nicht weinen, sich selbst nicht erniedrigen.
    Al-Douri schien zu ahnen, wie er sich fühlte, und schwieg, bis al-Umari sich wieder gefangen hatte. Keinem der beiden Männer fiel auf, dass der Leibwächter zurückkam und ein Silbertablett mit Tee auf den Tisch stellte.
    »Rede mit mir, mein Freund. Warum bist du gekommen? Was hoffst du zu erreichen?«
    Jetzt sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus, er konnte nichts dagegen tun. »Die Amerikaner müssen die Lektion lernen, dass die Welt nicht ihr Spielplatz ist. Sie können sich nicht einfach nehmen, was uns gehört, müssen Bescheidenheit lernen und erkennen, dass sie nicht wissen, was für das irakische Volk am besten ist.

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