Der Attentäter - The Assassin
beherbergte. Aber der Ort bedeutete ihm etwas, das er keinem anderen erklären konnte. In einem knappen Jahr war er Katie Donovan noch nie so nahe gekommen, zumindest der Erinnerung an sie, den unsichtbaren Spuren, die sie in dieser Welt hinterlassen hatte.
Als er dort im Regen stand, auf der anderen Straßenseite, wurde ihm plötzlich etwas klar. Zum ersten Mal wusste er, warum er vor einem halben Jahr aktiv seine Versetzung in den Irak betrieben hatte; weiter als in der Wüste konnte man nicht von der Zivilisation entfernt sein. Aber die karge Umgebung hatte ihm überhaupt nicht dabei geholfen, die guten
Erinnerungen wieder aufleben oder ihn zumindest zeitweilig das bohrende Schuldgefühl vergessen zu lassen. Doch seit er in Washington gelandet war, schien ihn auf einmal alles an sie zu erinnern; das Haus an der Q Street, wo Harper und seine Frau Julie ihn und Katie zum Abendessen eingeladen hatten, oder jetzt das Restaurant auf der anderen Straßenseite, wo sie zu viel getrunken hatte und durch einen Lachanfall fast dafür gesorgt hätte, dass sie des Lokals verwiesen worden wären. Selbst das Hotel Washington erinnerte ihn an das Hay-Adams und eine verschneite Nacht im letzten November, als sie sich bei offenem Fenster geliebt hatten und kleine Flocken in das Zimmer mit dem Blick auf den Lafayette Park trieben, während sie leise stöhnte.
Nichts davon erinnerte ihn an jene Nacht, als Vanderveen sie ermordet hatte, doch das würde nicht lange auf sich warten lassen. Am Ende lief es immer darauf hinaus. Dieses eine Bild konnte er nie wirklich abschütteln.
Nach ein paar Minuten überquerte er die Straße und ging in Richtung Chinatown. Seine Gedanken und Gefühle wechselten ständig, aber er musste sich eines eingestehen: Er hatte gar nicht den Wunsch, etwas abzuschütteln, er brauchte den Schmerz und das Schuldgefühl. Sie erinnerten ihn permanent daran, was er getan, was er nicht getan und was er verloren hatte.
Genau das hatte er verdient.
Der Konferenzraum befand sich im siebten Stock des Hotels Le Meridien Étoile und war von einem dumpfen Stimmengemurmel erfüllt, was sich nicht vermeiden ließ, wenn zweihundertfünfzig der weltweit renommiertesten Ökonomen und Wirtschaftbosse in einem Saal zusammengepfercht waren. Dr.
Nasir al-Din Tabrizi saß auf der linken Seite und erblickte unter den Anwesenden ein paar gute Bekannte - den Chief Financial Officer von Dow Chemical, den untersetzten stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Barclays Bank und den neuen weiblichen CEO von Lockheed-Martin, eine kleine, aufgestylte Blondine, die es im letzten Monat auf die Titelseiten von Forbes und Fortune geschafft hatte.
Tabrizi lächelte und trank einen Schluck Mineralwasser. Er mochte diese Konferenzen, bei denen seinem Land nicht mehr nur Chancen in Aussicht gestellt wurden, sondern von denen es mittlerweile handfest profitierte. Der Irak hatte so schlechte Jahre hinter sich, dass es nur gerecht war, wenn das Land endlich wieder positive Zukunftsperspektiven sehen konnte. Richtig schlimm geworden war es ab 1990, als durch die von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen zerstört wurde, was von der Wirtschaft seines Landes noch übrig war. Als der Golfkrieg begann, lebte Tabrizi in England und hielt Vorlesungen an der London School of Economics, doch er hatte die Entwicklungen in seinem Heimatland genau verfolgt. Wie viele bekannte Iraker im Londoner Exil gehörte auch er zum Irakischen Nationalkongress, der führenden Oppositionsgruppe außerhalb des Landes, in der er einer der ganz wenigen Sunniten war.
Die Organisation war nach dem Golfkrieg gegründet und jahrelang verdeckt von der CIA finanziert worden. Nach der amerikanischen Invasion im Jahr 2003 hatten viele langjährige Mitglieder des Irakischen Nationalkongresses Posten in der Übergangsregierung bekommen, unter ihnen auch Tabrizi. Hier hatten sich seine engen Kontakte zu Achmad Tschalabi, einem der führenden Mitglieder der Exilorganisation mit Aussicht auf den künftigen Präsidentenposten, als unbezahlbar
erwiesen. Ab Januar 2004 bekleidete Tabrizi eine untergeordnete Position im Irakischen Regierungsrat, eingesetzt von der Provisorischen Koalitionsbehörde. Seitdem hatte er in einer Reihe von Interimsregierungen gesessen, und dieser Tatsache verdankte er es, dass er seit kurzem das prestigeträchtige Amt des Außenministers innehatte.
Tabrizi war weiter ganz in Gedanken versunken, als der Generalsekretär der Internationalen
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