Der Attentaeter von Brooklyn
sich mit mir. Playland, Nähe Boardwalk, Coney Island, 22 Uhr.«
Er wischte sich den Schneematsch hinten vom Mantel. Sein rasender Herzschlag pochte ihm bis in den Kopf. Das Stück Papier raschelte in seiner Hand, und er überflog die Botschaft ein weiteres Mal – er wusste, was sie bedeutete.
Raschid lud ihn zu einem Treffen ein.
Er überquerte die Avenue und ging auf die Polizeiabsperrung vor dem Café al-Quds zu. In einer Hand hielt er das Messer, in der anderen die Scheide und die Botschaft.
Ihre weiche Brust.
Du hast deine Lektion gelernt, Raschid , dachte er. Im zwölften Jahrhundert hatte der Führer der Assassinen den Diener eines Feindes bestochen, seinem schlafenden Herrn eine Nachricht zu überbringen. Als der Mann erwachte, fand er die gleichen Worte, die Omar Jussuf eben gelesen hatte, neben seinem Bett mit einem Dolch auf den Boden geheftet. Für einen Moment dachte Omar Jussuf, dass Ismail ihm die Botschaft gesandt haben könnte, nachdem er ihn auf der Straße und bei der UN gesehen hatte. Aber dies war der Block an der Fifth Avenue, in dem Raschid gewohnt hatte, und Raschid war an den historischen Assassinen stets stärker interessiert gewesen als Ismail. Es musste Raschid sein.
Wenn Raschid tatsächlich der Mörder war, dann bedeutete ein Treffen mit ihm ein tödliches Risiko. Aber diese Botschaft ist ein Signal an mich, dass er reden will, dachte Omar Jussuf. Wenn er mich hätte umbringen wollen … Er befingerte den Dolch.
»Was ist hier passiert?« Ein Mann in einer braunen Bomberjacke, einer Mets -Mütze und einer dünnen, auffälligen Hose, die im Knöchelbereich mit lodernden Flammen verziert war, überholte Omar Jussuf und ging auf den Polizisten zu, der die Absperrung ums Café bewachte.
»Jemand ist getötet worden«, sagte der Polizist.
»Ermordet?«
»Ganz recht.«
»Haben Sie den Terroristen erwischt?«
»Sagen Sie das noch mal.«
»Den Terroristen erwischt?«
»Es geht nicht um Terrorismus, Sir.«
»Es ist aber ein arabisches Café, Freundchen. Glauben Sie etwa, dass es da keine Verbindung zum Terrorismus gibt?«
Der Polizist schlenderte langsam zur anderen Seite des Bereichs, der von der blauen Absperrung umzäunt war.
»So fängt es immer an«, fuhr der Mann fort. »Sie führen hier einen Anschlag aus, und keinen juckt das. Hey, ist ja nur Brooklyn. Im nächsten Moment jagen sie die Freiheitsstatue oder das Empire State Building in die Luft, und dann müsst ihr Arschlöcher euch endlich drum kümmern.«
Omar Jussuf erreichte die Absperrung. »Verehrter Herr, das ist kein Terroranschlag. Der Tote ist Araber«, sagte er.
»Sie bringen sich gegenseitig um, was, Freundchen? Einer weniger, mit dem wir uns herumschlagen müssen.« Der Mann wandte Omar Jussuf sein feistes Gesicht zu. Die unrasierte Haut an seinem Hals quoll über den hochgeschlagenen Kragen der Bomberjacke. Er sah nach unten und bemerkte den Dolch in Omar Jussufs Hand.
»Scheiße, Mann«, sagte er, streckte die Arme über dem Kopf aus und wich zurück. »O Scheiße, Mann.«
Omar Jussuf stieß den Dolch in die Scheide und schob ihn sich in die Tasche.
»Polizei, hey, Polizei!«, rief der Mann.
Der Polizist drehte sich um, als er die schrille Stimme hörte. »Jetzt ist aber Schluss«, sagte er. »Es ist kein Fall von Terrorismus.«
»Dieser Typ hier – Gott, o Gott!«
Omar Jussuf verzog sich in die Seitenstraße. Er ging schnell. Er hätte alles erklären können, aber wenn er versucht hätte, dem Polizisten zu erzählen, dass ein siebenjähriger Junge ihm den Dolch gegeben hatte, hätte das lächerlich geklungen. Er war Araber, und ohne es zu wollen, überfielen ihn Bilder von Männern mit verbundenen Augen, die mit Hand- und Fußfesseln unter Aufsicht amerikanischer Soldaten vor sich hin trotteten. Er versuchte, sich zu beruhigen, sah sich aber nur als einen gejagten, verschreckten Ausländer. Er fürchtete, verhaftet zu werden, bevor er sich dem Polizisten erklären könnte, wenn er jetzt mit dem Dolch zu Hamsa ginge. Er schaute auf die Uhr. Es war fast fünf Uhr nachmittags.
In ein paar Stunden würde er zu Raschid gehen. Allein.
Kapitel
20
Als der Zug der D-Linie die Endstation Coney Island erreichte, ging Omar Jussuf über die Stahltreppe nach unten, durchquerte die kalte Unterführung unter den Gleisen und folgte den Lichtern in Richtung Surf Avenue. Er sah einen Streifenwagen, der so langsam vorbeirollte wie ein starker Esser, der sich satt und finster noch einmal ans Buffet begibt. Der
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