Der Attentaeter von Brooklyn
treulose Frau, Ustas .«
»Vertrauen auf menschliche Qualitäten ist wie Vertrauen auf Allah –«
»Ich meine treulos nicht in diesem Sinn.«
»Treulos in der Liebe? Enttäuschung ist ein Teil der Liebe. Sie werden darüber hinwegkommen –«
»Ich habe sie enttäuscht.« Sie schüttelte den Kopf und hämmerte wieder mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Aber mich selbst habe ich nicht enttäuscht. Ich bin nach Manhattan gegangen, und dort habe ich Dinge getan, die verboten sind. Ich habe sie für mich selbst getan. Ich wollte nicht bis zum Paradies warten, um glücklich zu sein. Die Dinge, die mir verboten sein sollten und die ich dennoch getan habe, habe ich gern getan, und den Mann, mit dem ich sie getan habe, habe ich geliebt, obwohl auch er mir verboten war. Das macht mich wütend. Ich lebe hier unter Leuten, die mich verdammen für die einzigen Dinge in meinem Leben, die lebenswert waren.«
Omar Jussuf schauderte. In Ranias dunklen Augen sah er Konfusion und Kopulation, verbotene Dinge, denen er abgeschworen hatte, und Dinge, die so verwerflich waren, dass sie ihm nicht einmal vertraut waren. Es war, als entdeckte er in dem einen ihrer Augen das unterdrückte Leben eines konservativen arabischen Mädchens, im anderen jedoch die Welt, die nach ihr griff, wenn sie durch die Straßen Brooklyns ging – die Werbung, die halb nackte Körper zur Schau stellte, die ordinäre Sprache und die Respektlosigkeit. Er fragte sich, mit welchem Auge sie wohl besser sah.
Er sah, wie sie schluchzte, die Finger vor den Augen verschränkt, das Gesicht auf die Papiere auf dem Schreibtisch gesenkt. Dann verstand er ihre Schuldgefühle, die wie ein blauer Fleck auf ihrer blassen Haut sichtbar wurden. Er wusste, dass er sie jetzt befragen musste, bevor die Tränen diese Male wieder fortwaschen würden.
»Was ist die Masjid al-Alamut?«, sagte er.
Sie zuckte, ohne aufzublicken, die Schultern.
»Die Alamut-Moschee?«, wiederholte er. »Haben Sie noch nie davon gehört? Hat Ihr Vater da nicht gebetet?«
Rania putzte sich mit einem Papiertaschentuch die Nase. »Er hat nicht gebetet, Ustas .« Sie betupfte sich die Augen. Kein Lidschatten war verlaufen, und Omar Jussuf begriff, dass die glänzende Schwärze ihrer langen Wimpern natürlich war.
»Wie war Nisar als Junge, Ustas ?« Ihre Stimme war plötzlich klar und frei von Bitterkeit wie die eines Kindes.
»Ich dachte, Sie hätten gesagt, Freude sei gegenwärtiges Glück, nicht die Verheißung des Paradieses oder die Erinnerung an eine schöne Zeit.«
Sie lächelte unter Tränen, und Omar Jussuf spürte wieder die Berührung ihres Blicks auf seiner Wange.
»Ich erinnere mich, dass Nisar etwas von einem Anführer hatte«, sagte er, »aber er war nie heimtückisch. Er war einer dieser Teufelskerle, die einen damit überraschen, wie fürsorglich sie sein können.«
»War er als Junge religiös?«
»Nicht so sehr.« Omar Jussuf war sich nicht sicher, ob ihre Neugier ein Ablenkungsmanöver war oder das echte Bedürfnis, den persönlichen Spuren einer verlorenen Liebe nachzugehen. »Hat Ihr Vater Nisar umgebracht, um Ihren guten Ruf zu schützen?«
»Glauben Sie etwa, mein Vater hätte sich um meinen guten Ruf gesorgt? Nur weil er sich darüber aufgeregt hat, dass ich mit einem Mann zusammen war, als Sie in unserem Café waren?« Sie schüttelte den Kopf. »Er war ein Schwätzer.«
»Es stimmt schon, dass Drogenhändler sich normalerweise nicht so sehr ums Image ihrer Familie scheren.«
Rania zuckte zusammen, und sie weinte nicht mehr. »Mein Vater war kein schlechter Mensch.« Das Mädchen schnäuzte sich mit einem neuen Papiertaschentuch. Als sie es in den Papierkorb warf, war ihre Nasenspitze für einen Moment gerötet. Omar Jussuf sah, wie sich die Blässe wieder einstellte. Falls jemand sie mit einem Messer attackieren würde, wie man es mit ihrem Vater getan hatte, würde dieser Punkt an ihrer Nase verraten, dass sie bluten würde, vielleicht sogar so lange, bis ihre Venen leer sein würden. Er dachte, dass sie all ihren Schmerz ausgeweint hatte, und damit hatte auch die Heilung eingesetzt, die sich wie Schorf über eine Wunde legt.
»Er war im Libanon im Gefängnis, nicht wahr?«
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, blassrosa wie ein Fingernagel.
»Könnte sein Mörder jemand aus seiner Vergangenheit sein?«
»Er ist während des Bürgerkriegs zum Drogenhandel gezwungen worden«, sagte sie.
»Gezwungen?«
»Von Leuten des Islamischen Dschihad.
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