Der Aufbewarier (German Edition)
Gruppe gelöste hatte und ihm von der Seite zuwinkte. Langsam überquerte er die Straße.
»Bist du verrückt? Das hier ist eine Demonstration, und selbst eine Schauspielerin wie du sollte wissen, dass öffentliche Kundgebungen in jeder Form verboten sind.«
Carla reagierte nicht auf Dauts Worte.
»In dem Haus da drüben sind unsere Männer. Vielleicht ist Kurt auch dabei - ich weiß es nicht.«
Daut wurde wütend.
»Selbst wenn dein Mann da drin ist, kannst du nichts für ihn tun. Wenn ihr Frauen hier noch länger herumsteht und Parolen ruft, bringt ihr euch in Teufels Küche, ach was, ihr bringt euch in Lebensgefahr.«
»Was sollen wir denn sonst machen, Axel? Sie haben alle Juden in der Stadt verhaftet, auch diejenigen, die in Mischehen leben so wie Kurt und ich. Das können sie doch nicht tun.«
Carla musste verrückt geworden sein. Natürlich konnten sie das tun. So wie sie alles tun konnten. Sie hatten die Macht über Leben und Tod.
»Carla, geh nach Hause. Bitte! Das hat doch keinen Zweck hier. Sie werden Kurt schon wieder laufen lassen.«
Warum hatte er das nur gesagt? Um Carla zu beruhigen, klar. Aber es war eine Lüge, das wusste er. Goebbels wollte ein judenfreies Berlin, und niemand würde ihn daran hindern. Schon gar nicht ein paar demonstrierende Frauen.
»Ich bleibe hier!«
Carla sprach die drei Worte in einem trotzigen Ton, den Daut noch nie bei ihr gehört hatte.
»Ich bleibe wenigsten so lange, bis ich weiß, ob Kurt in diesem Haus da ist.«
»Mensch, Carla!«
Daut wurde ungeduldig. Seine Kollegen schauten schon zu ihm herüber. Die Schauspielerin sah zu ihm auf.
»Du könntest doch versuchen, in das Haus zu kommen. Dich werden sie bestimmt reinlassen, schließlich bist du Polizist.«
Es war zwecklos, mit Carla zu diskutieren, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Also ließ Daut sie wortlos stehen und ging zurück zu den anderen Polizisten.
»Was hast du denn so lange mit der Kleinen zu schaffen gehabt? Sei bloß vorsichtig mit diesen Judenflittchen.«
Daut ging auf die Bemerkung nicht ein, sondern stellte eine sachliche Frage.
»Was ist das überhaupt für ein Haus, vor dem wir hier stehen?«
»Das ist irgendeine jüdische Behörde.«
Gisch drehte sich zu den anderen Polizisten um.
»Wisst ihr, was für ein Amt in dem Gebäude ist?«
Ein älterer, sehr kleiner, aber dafür umso dickerer Hauptwachtmeister antwortete.
»Irgendeiner hat, glaube ich, von einem Wohlfahrtsamt gesprochen. Oder war es Arbeitsamt? Irgendeine jüdische Behörde halt, die es in ein paar Wochen nicht mehr geben wird.«
Als niemand auf seine Bemerkung einging, setzte er hinzu und begann schon, während er sprach, zu lachen: »In ein paar Wochen gibt es nämlich auch für dieses Amt keine Klienten mehr.«
Daut nutzte die einsetzende Heiterkeit und ging auf den SS-Mann am Eingang zu. Er beschloss spontan, noch einmal den Trick anzuwenden, der im Konzerthaus Clou so gut funktioniert hatte. Auch diesmal nahm ihm der Wachhabende die Geschichte ab, und Daut betrat das Gebäude. Das äußerst mulmige Gefühl in der Magengegend ignorierte er.
Sechzehn
Eigentlich wollte Rösen Grahn nur die Fotos zeigen. Aber er brauchte eine Identifizierung, und weil er nach Grahns Vernehmung das sichere Gefühl hatte, dass es sich bei der zerstückelten Leiche um dessen Frau handelte, fuhr er mit ihm ins Leichenschauhaus. Teske nahm sie bereits am Eingang in Empfang. Er hatte jede Arroganz abgelegt und benahm sich gegenüber dem Zeugen ausgesprochen höflich. Vermutlich wollte er ihm die schreckliche Situation erleichtern, soweit das überhaupt möglich war. Rösen hatte befürchtet, dass die Identifizierung im großen Sektionssaal stattfinden würde, aber der Rechtsmediziner führte sie in einem kleinen Raum abseits des Haupttraktes durch, in dem sich nur eine einzige Bahre befand. Teske hatte die Leichenteile so auf den Tisch gelegt, dass man den Eindruck gewinnen konnte, unter dem Tuch befände sich ein vollständiger, menschlicher Körper. Der Doktor lupfte das Tuch nur so weit, dass der linke Fuß sichtbar wurde. Grahn starrte darauf, ohne etwas zu sagen. Erst als sich Rösen nach einer halben Minute räusperte, nickte er.
»Es könnte Martha sein.«
Rösen wurde ungeduldig.
»Was heißt hier könnte. Sie werden doch wohl noch Ihre Frau erkennen.«
»Natürlich«, stammelte Grahn. Aber dieser Fuß ... Es kann doch noch andere Frauen geben, denen dieser Zeh fehlt.«
Er schaute Teske hilfesuchend
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