Der Aufbewarier (German Edition)
aus der Manteltasche, entzündete es und hielt es dem Offizier entgegen. Mit der brennenden Zigarette im Mundwinkel fragte er, auf Dauts Prothese zeigend: »Schon länger her?«
»1918.«
Der SS-Mann nickte anerkennend. Endlich meldete sich jemand am anderen Ende der Leitung, und er fragte, ob ein Kurt May erfasst sei. Kurze Zeit später hielt er die Hand auf die Sprechmuschel.
»Wie schreibt der sich? Wie der Monat?«
»Nein, Hauptsturmführer, wie der Schriftsteller.«
Während er auf die Antwort wartete, kritzelte der SS-Mann Strichmännchen auf einen Notizblock.
Von draußen hört man die Rufe der Frauen: »Gebt uns unsere Männer zurück!«
Der Hauptsturmführer blaffte ins Telefon.
»Was dauert das so lange. Kann doch nicht so schwer sein, nach einem Namen zu suchen. Rufen Sie mich an, wenn Sie wissen, ob er der Kerl hier ist oder nicht.«
Er warf den Hörer auf die Gabel.
Einer der anwesenden Gestapoleute, ein dürrer Schlacks mit zu viel Pomade im Haar und einem nach Führers Art gekürzten Schnäuzer, regte sich über die immer lauter gerufenen Parolen der Frauen auf.
»Man sollte endlich etwas zur Beruhigung der Situation unternehmen. Das kann doch so nicht weitergehen. Der Gauleiter ist informiert und entsetzt.«
Es reichte, Goebbels nur zu erwähnen, um Unruhe unter den Anwesenden zu erzeugen. Seinen Zorn wollte niemand auf sich ziehen. Der Hauptsturmführer schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Wissen Sie, was das Beste zur Beruhigung dieser Flittchen da draußen ist: ein Maschinengewehr.«
Zu seiner eigenen Verwunderung hielt Daut nicht den Mund, sondern mischte sich ein. Noch mehr erstaunte ihn, dass die Männer ihn reden ließen, ihm sogar aufmerksam zuhörten.
»Als Gauleiter würde Dr. Goebbels die Frauen ohne Zweifel am liebsten sofort von der Straße jagen. Wenn es nötig ist, auch mit Waffengewalt.«
»Genau«, rief der Gestapomann.
Daut hob die Hand zum Zeichen, dass er weitersprechen wollte.
»In seiner Funktion als Propagandaminister hingegen ...«
Er ließ den Satz unvollendet im Raum stehen. Alle schwiegen. Daut hatte erreicht, was er wollte. Sie waren unsicher geworden, ob eine gewaltsame Räumung die Zustimmung der Parteiführung finden würde, oder ob sie sich damit nicht etwa selbst in die Schusslinie brächten. Jetzt musste er ihnen nur noch eine Alternative aufzeigen.
»Am besten wäre es, die Situation zu entspannen und die Frauen dazu zu bringen, die Straße freiwillig zu räumen. Geben Sie ihnen das Gefühl, dass es ihren Männer hier drin gut geht. Genehmigen Sie den Frauen, Pakete mit Lebensmitteln für ihre Männer abzugeben. Und vor allem sorgen Sie dafür, dass den Frauen die Hausschlüssel, Lebensmittelkarten und so weiter ausgehändigt werden, die ihre Männer mit sich führen. Die meisten werden dann ganz sicher nach Hause gehen und Pakete packen.«
Die Männer schwiegen, keiner wollte als Erster seine Meinung äußern. Alle warteten auf den Hauptsturmführer als Ranghöchsten. Er atmete tief ein und nickte Daut anerkennend zu.
»Nicht schlecht, Wachtmeister. Vertrauensbildende Maßnahmen.«
Er kam nicht dazu, weiterzusprechen, denn das Telefon klingelte. Das Gespräch war kurz, und Daut ahnte das Ergebnis.
»Tut mir leid, Wachtmeister. Der Mann, den Sie suchen, ist nicht hier. Noch nicht, müsste ich sagen, denn in den nächsten Stunden bringt man uns noch einige Dutzend, die fälschlicherweise in anderen Sammelstellen gelandet sind. Aber jetzt entschuldigen Sie uns, wir haben zu tun.«
Als Daut wieder ins Freie trat, hatte sich die Situation eher verschärft als entspannt. Die Zahl der Frauen war gewachsen, und sie standen jetzt nicht nur starr auf der anderen Seite der Straße, sondern gingen auf und ab. Carla winkte ihm zu.
»Und? Ist Kurt da drin?«
»Nein. Könnte aber gut sein, dass er in den nächsten Stunden hergebracht wird.«
Carla schaute ihn niedergeschlagen an.
»Aber etwas anderes habe ich erreicht.«
Daut trat einige Schritte zurück und stand mitten auf der Fahrbahn.
»Alle mal herhören. Sie dürfen für Ihre Männer Päckchen mit Lebensmitteln packen. Die übergeben Sie dann den Wachhabenden, die dafür sorgen, dass Ihre Männer sie auch erhalten. Wenn Ihr Mann den Hausschlüssel oder die Lebensmittelkarten bei sich trägt, teilen Sie das ebenfalls den Wachhabenden mit. Man wird Ihnen diese Gegenstände aushändigen.«
Kaum hatte Daut seine kleine Ansprache beendet, setzte ein Gemurmel ein, das er nicht richtig deuten
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