Der Aufbewarier (German Edition)
alle Gäste drehten die Köpfe in Richtung der beiden Fremden.
»Entschuldigen Sie, wir müssen nur kurz Herrn Quint sprechen. August Quint.«
Ein wohlbeleibter, dabei aber recht kleiner Mann mit einer Glatze und einem Oberlippenbart erhob sich und legte die Serviette zur Seite.
»Lasst euch nicht stören. Vermutlich hat nur irgendjemand falsch geparkt.«
Mit einem erlösenden Lachen nahmen die Hochzeitsgäste ihre Unterhaltungen wieder auf. Quint ging langsam auf die Polizisten zu, dabei immer wieder dem einen oder anderen zunickend.
Zwei Meter vor Daut blieb er stehen und hob den Arm zum Gruß.
»Heil Hitler, Herr Wachtmeister.«
Er ließ den Arm sinken, machte einen Schritt auf die Polizisten zu und keifte leise, wobei er Speichel wie Sprühregen verteilte.
»Was fällt Ihnen ein, diese Feier zu stören.«
Er führte beide Hände an die Revers seines feinen, schwarzen Gehrocks. Dabei hob er den rechten Jackenaufschlag wie zufällig an. Weder Daut noch Rösen konnten das darunter angesteckte Parteiabzeichen übersehen.
Rösen riss das Gespräch an sich.
»Es tut uns leid, aber wir haben ein paar Fragen, die keinen Aufschub dulden. Sie kennen eine gewisse Jüdin namens Martha Sarah Grahn?«
Daut hob die Augenbrauen. Bis jetzt hatte Rösen niemals den Namenszusatz gebraucht, der Juden vorgeschrieben war. Als er die Reaktion des Angesprochenen bemerkte, zog er in Gedanken den Hut vor seinem Kollegen, denn er hatte Quint sofort in die Defensive gedrängt.«
»Natürlich kenne ich sie. Sie ist eine Mitarbeiterin bei OSRAM, die ich, nun, mit der ich hin und wieder geschäftlich zu tun habe.«
Quint gewann seine Sicherheit zurück.
»Ich wüsste nicht, was an der Frau so wichtig sein soll, dass Sie in diese Feier hereinplatzen.«
»Die Frau ist tot. Sie wurde ermordet.«
Quint wurde blass und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Rösen wollte etwas sagen, aber Daut war schneller.
»Morgen, Herr Quint. Acht Uhr in der Früh, oder sagen wir besser halb neun, wir sind ja keine Unmenschen, und nach dieser Feier werden Sie etwas länger schlafen wollen. Also acht Uhr dreißig im Präsidium am Alexanderplatz. Fragen Sie nach Kriminalkommissar Ernst Rösen. Und seien Sie pünktlich.«
Als sie das Haus Vaterland verließen, schnauzte Rösen Daut an:
»Was sollte das? Bis jetzt haben wir so gut wie keine Informationen über Martha Grahn, und du fällst mir hier ins Wort, als ich anfangen will, ihm etwas aus der Nase zu ziehen.«
»Mach mal halblang, Ernst. Du hast genauso gut wie ich gesehen, dass er Parteimitglied ist. Und die Feier sah nicht nach armen Leuten aus. Quint wird das wohl kaum von seinem Gehalt als Buchhalter bezahlen, also dürfte die Familie seines Schwiegersohns wohlhabend sein, und das bedeutet fast immer auch einflussreich. Wir wollen doch keinen unnötigen Ärger. Und wenn wir morgen mehr erfahren, ist das auch noch früh genug.«
Vierundzwanzig
Der 170er Benz hatte auch schon bessere Tage gesehen. Die Lederpolster waren abgewetzt, die rechte Fensterkurbel war abgebrochen und der Rückspiegel fast blind. Außerdem stank es gewaltig nach billigen Zigarren. Der Droschkenkutscher musste Kettenraucher sein, zum Glück war er nicht so geschwätzig wie die meisten Taxifahrer der Stadt.
Daut zog die Hosenbeine seines schwarzen Anzugs glatt. Er war ihm wie seine gesamte Kleidung zu weit geworden, aber er besaß nur diesen einen. Gut, dass er wenigstens seine Holzhand dem Anlass entsprechend in feinstes Nappaleder gekleidet hatte.
Carla saß in die Ecke ihres Sitzes gedrängt. In ihrem schwarzen Mantel und dem Hut mit den keck hochstehenden Krempen sah sie vornehm aus wie eine große Dame. Sie redeten kaum etwas, bis der Wagen vor der Villa in der Max-Eyth-Straße in Dahlem stoppte. Daut zahlte den Fahrpreis. Die Tür wurde von einem Dienstmädchen geöffnet, das ihnen die Mäntel abnahm. Erst jetzt sah Daut, wie aufregend Carla gekleidet war. Wann hatte er das letzte Mal eine so elegante, schöne Frau gesehen. Sie trug ein bodenlanges Abendkleid aus Satin. Die eine Hälfte schwarz, die andere Hälfte glänzend weiß, lag es eng an ihrem Körper und betonte jede Rundung. Über der rechten Brust zog eine große, filigrane Silberbrosche in Form eines Schmetterlings die Blicke auf sich. Obwohl das Kleid am Hals hochgeschlossen war, ging von Carla eine erotische Anziehungskraft aus, die Daut zuvor nie bemerkt hatte. Neben seiner Begleiterin fühlte er sich in seinem zu großen Anzug
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