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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Verbindung mit den Polen Gott
und Unsterblichkeit, so steckt Kurzschluß die verschlammte Ichmaschinerie in Brand, wie Bolschewismus den Sozialismus
in die Luft sprengt. Doch auf entgötterte und als Rumpelkammer mit Götzenbildern vollgestopfte Hirne kann die
Ätherzentrale plötzlich vibrierende elektrische Schläge austeilen, wenn ein Genius als personifiziertes Licht
mitten unter der Masse die Strahlen der Weltvernunft materialisieren will. »Wenn das Unrecht überhandnimmt,
schafft Wischnu sich selbst« verkündet Brahminenweisheit das Erscheinen der Heilande als gesetzmäßige
Notwendigkeit: Pfingstniederkunft des heiligen Geistes.
    Selbst wer behutsam jeden Kirchenspuk bei jeder Pfingstmär ausschaltet, wird nicht die Möglichkeit
plötzlicher Elektronenergießung leugnen, welche die Menschheit gleichsam mit ätherischem Öl einer
Reinigungssehnsucht tauft, um Blut und Schmutz von ihr abzuwaschen. Ist die Zeit erfüllt für Wiedergeburt
religiöser Erhebung? In Bereitschaft sein ist alles. Sollte Leonardos oft zitiertes »Miracolo del primo
Movimento« am Ende nur Verballhornung sein für seinen wirklichen Satz über »wunderbare Gerechtigkeit
des ersten Bewegungsurhebers«? So erben sich Verwechslung und Verdrehung als ewige Krankheit fort. Wer Chamberlains
Anpreisung Leonardos als bloßen Außenschauer hinunterwürgt, wird gegen den Großen heimlich aufgebracht
und hält ihn irrtümlich für mechanistisch. Wer aber den gewaltigen Innenschauer, dem Außenschauen nur
als Werkzeug innerer Erleuchtung diente, wirklich erkennt, betrachtet es als Fälschung, daß man diesen
Vorauserkenner des von uns gesuchten transzendentalen Monismus (siehe sein tiefsinniges Bacchus-Johannesbild) als Eideszeugen
für antimetaphysische Hirngespinste anzurufen wagt. Ins Reich der transzendentalen Freiheit führt keine
willkürliche Enterbrücke, sondern nur »göttliche Notwendigkeit, deren Wirkungen auf kürzestem Wege
ihren Ursachen folgen« (Leonardo).Das Ursachlose, die Seele der Unendlichkeit, kann auch spontane psychische Wirkungen
durch Herniederkunft von Ideen erzeugen, deren Ursachen über jede sichtbare Kausalität hinausreichen: die innere
Notwendigkeit des Unsichtbaren.
     

2. Das Unwirkliche des Wirklichen.
     
     
1
    Bergsons und seines Schülers Grandjean Vorwürfe gegen die Vernunft berücksichtigen nicht die radikale
Ungleichheit der Anlagen, so daß man von allgemeinverbindlicher Menschenvernunft kaum reden darf. Bergson griff
eigentlich nur den Verstand an, Grandjean das, was er Vernunft nennt, wobei er Begriffsschnitzler wie Spinoza meint. Plato,
Bruno, Kant stehen auf anderer Stufe, obwohl Kants »praktische« keine »reine« Vernunft sein will.
Kuba ist das einzige Tropenland, wo keine giftigen Schlangen und Insekten gedeihen: Gibt es Lande der Psyche, wo keinerlei
Unvernunft regiert? Zweifellos das Reich der Genialität, doch Bergson und sein Schüler bestreiten, daß hier
Vernunft arbeite, sondern nur Intuition, die sie streng davon unterscheiden. Sind Intuition und inspirierte Vernunft zu
trennen? Was die Inder den höheren Manas nennen, kann kein Gegensatz der Vernunft sein. Allerdings läßt sich
die Wirklichkeit, die hinter den Dingen steht, nur mit der Vernunft, die hinter dem Verstande ahnt, innerlich wahrnehmen. Das
von Chamberlain gepriesene Nach-Außen-Schauen hilft zu nichts, richtig betont Grandjean, daß wir jedes Ding
einseitig, einförmig, als Festbegrenztes nebeneinander sehen, was es notwendig nicht sein kann, und auf diesem
Falschsehen Schlüsse aufbauen, so daß jede äußere Logik täuschen muß. Er übersieht
dabei noch, daß der einseitig entwickelte Gesichtssinn (Tast- und Geruchsinn verkümmert, Hörsinn mangelhaft)
wiederum sehr ungleich ist. Immerhin muß das Schauen des Sichtbaren so verschieden sein wie die Augen selber, allen
gemeinsam nur das Nebeneinandersehen. Man versuche einen größeren Komplex anzuschauen, diese Probe wird jeden
überzeugen, daß man nur einen bestimmten beschränkten Punkt des Gesichtsfeldes gleichzeitig sieht. Das
Nebeneinander wird notwendig ein Nacheinander, so daß unsere Erfahrung sich aus lauter zeitlich und räumlich
getrennten Bruchstückssteinchen zusammensetzt. Ist richtig, daß genau Gleiches beim Innern Schauen zutrifft? Mehr
als ein Objekt und einen Gedanken kann man nicht gleichzeitig erfassen, doch genügt dies, um der Vernunft jede
Fähigkeit des Erkennens abzustreiten? Wohl für gewöhnliche

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