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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Europas Selbstblutvergiftung stellt sich als Bolschewismus Selbstdiagnose, daß es nur durch Amputierung an Haupt und
Gliedern zu kurieren sei. Der byronische Weltschmerz, der wenigstens noch an sich selbst glaubte, bedeutete den letzten
Widerstand der aristokratischen roten Blutkörperchen gegen die gefräßigen Bazillenhorden des
Pöbelmaterialismus, die seelische Dekomposition ist nun vollendet. Immer blamieren sich Prophezeiungen der
Vernunftpächter, man erklärte Kriege in Europa für finanztechnisch unmöglich und machte den Weltkrieg,
aus der Kriegsmaschine trieb Wissenschaft den Künstlergeist aus, Vernunft schickte man beständig auf Reisen mit
unbestimmtem Urlaub, Unvernunft blieb daheim als unabkömmlich.
    Vergleicht man römische Katapulte oder Leonardos Kriegsmaschine mit heutigen Zerstörungsmitteln, so waren eben
erstere damaligem Milieu angemessen wie letztere dem heutigen, das ist der ganze Fortschritt auf diesem negativen Gebiet.
Nicht mal die Schlachtverluste vermehrten sich durch moderne Taktik verbesserter Waffen, wahre Gesetze der Kriegskunst
bleiben, wie Napoleon und Jomini sich angesichts der ersten Erfindung des Hinterladers durch Leutnant Pauly theoretisch
einigten. Studiert man nun aber mit J. H. Fabre »les moeurs des insectes«, so findet man die grausamen
Kampfmethoden des Cerceriskäfers, der Pompilawespe, des grünen Grashüpfers gegen Käfer, Tarantellaspinne,
braune Cigalen – sämtlich an Kraft, Größe, Gift überlegen und dennoch verloren wie die
größte Kobra gegen den winzigen Mongun – viel geistreicher berechnet. Da doch alles im Sichtbaren relativ
und keine Art physisch entwickelter als die andere, »jedes nach seiner Art« so darf der erst recht nicht an
geistigen Fortschritt glauben, wer Geist und Stoff für identisch hält. Ein englischer Revueartikel »Chance
und Change« will völligen Wechselumsturz bis in heutigen literarischen Stil bemerkt haben. Wieso? Shaw ist nur
verkleinerter Swift, Wells verkleinerter Defoe, bei Einführung von Christentum, Humanismus, Reformation,
Aufklärung, Revolution jubilierte man auch, eine ganz neue Menschheit beginne, doch der Rest war nicht Schweigen,
sondern Hohnlachen der Verstehenden. Die Maschine habe das ganze Menschenwesen verändert? Chesterton predigt, alle
Maschinen müssen zerstört werden, um das merkantile Zeitalter zu töten: was immer Technik bewirkt haben mag,
jedenfalls nichts im Sinn von Aufwärtsbewegung. Einführung von Meerschiffen oder Pferden hatte relativ den gleichen
Bewegungswert wie Eisenbahn und Luftschiff, Entdeckung Amerikas erweiterte den Horizont drastischer als drahtlose
Telegraphie. »La matière derneure et la forme se perd« sang schon der alte Ronsard, das liest sich
richtiger: jede Form verliert sich, der Stoff bleibt unverändert als Abbild des Unsichtbaren. Auch die Psyche des
Erdballs bleibt eine Konstante mit Arbeitsteilung vom Moneron bis zum Normalmenschen, auch die Psyche des Alls vom
Übermenschen (Genie) bis zum Erzengel (überirdische Kraftsumme), innerhalb dieser ewigen Einheit gibt es nur ein
Unterscheidendes, Veränderliches und Entwicklungsmögliches: Individualität. Art, Rasse sind gleichgültige
Begriffe, biologische Wichtigtuerei auch nur Milieuerzeugnis der Philisterdemokratie, alles Erhöhende stammt nur vom
großen Individuum, Rasse und Masse bleiben nur Material für Aufrechterhaltung des Naturhaushalts für
unsichtbare Zwecke. Doch auch das geniale Individuum jenseits der Masse und beim Prozeß des Schaffens jenseits des
Sichtbaren bleibt ein unveränderter Typ, dessen Erzeugnisse nur die Form wechseln. Michelangelo war nicht genialer als
die Urschöpfer von Skulptur und Malerei, Shakespeare nicht genialer als die sumerischen Dichter der Genesis. Was
Evolution sein mag, ist nicht von dieser Welt und auf höheren Ebenen kann auch das Geistige sich nur relativ steigern;
was verändert und evolutioniert werden kann, ist nur ethische Erkenntnis, doch nur Karmagesetz und Wiedergeburt
ermöglichen solch transzendente Evolution, sonst müßte man auch sie verneinen. Die unsagbare
Lächerlichkeit des Wahns, Wissenschaft reinige die Ethik, demaskierte sich in der Nichtswürdigkeit des sterbenden
19. Jahrhunderts, nachdem das internationale Zwischenreich bei Waterloo den Heldentod starb. Die Propheten des 18.
Jahrhunderts waren Friedrich der Große, Goethe, Beethoven, Napoleon, Byron, die des 19. Jahrhunderts Darwin und
Nietzsche mit dem

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