Der Aufgang Des Abendlandes
reden wir von Selbsterlebtem, ohne das niemand wie der Blinde von der Farbe reden
sollte. Daß Geister auf ihren eigenen Wunsch in Verkehr treten dürfen, zeigt die Nähe ihres Erdkontakts und
freundliche Billigung durch die Weltordnung. Über bloße Hypothese scheint Spiritismus für jeden Unbefangenen
hinausgewachsen, unsere Kritik richtet sich lediglich gegen die Leichtgläubigkeit, jede Erscheinung und jede Botschaft
für objektiv real zu halten, während fast immer Subjektives sowohl des Spirits als des Mediums daran haftet, obwohl
es vereinzelte Fälle gibt wie den oben beschriebenen, wo subjektive Mitwirkung des Angeredeten nicht vorliegt. Daß
der Spiritismus in all seinen Formen nicht das sein mag, wofür seine Anhänger ihn halten, daß
möglichenfalls nicht die Verstorbenen zu uns reden, sondern in sie verkleidete Elementels, wie Blavatzky versichert, das
alles höbe nicht auf, daß wir vor einem neuen Beweis für allgemeine psychische Anlage des Alls stehen.
E. v. Mayer verhöhnt mit Recht die selber »neurotisch belastete« Psychoanalyse, die mit Freud und Siberer
nur sexuale Wunschwurzel aller Träume sieht und Begierde (Libido) als alleiniges Agens der Lebensabspielung. Soviel sich
gegen jeden Dualismus einwenden läßt, wird man Trennung von Libido und Eros nicht verkennen, allerdings machten
die Griechen, diese tiefsinnigen Symboliker, Eros zum Sohn der Liebesgöttin, d. h. der gewöhnlichen Sinnlichkeit,
und vermählten ihn mit Psyche. Diese Familienbeziehung deutet an, daß Begierde erst höhere Liebe gebärt
und diese sich dann vergeistigt. Wie beide sich schon diesseits durchdringen, so wohl auch im Astralleben, aus
spiritistischen Phänomenen scheint hervorzugehen, daß solch Eigenwesen nach dem Tode bestehen bleibt, jede Person
ins Jenseits abwandert und sich dort nach ihrer Eigenart ansiedelt. Dies entspricht Sokrates' kluger Dialektik und
religiösem Glauben, widerspricht aber der von heutiger Wissenschaft gebilligten Ichzerstörung Buddhas und der
Wiedergeburt, doch wie wir sahen, nehmen Buddha und die Urreligion ein Interregnum zwischen den Geburten an, in welchem das
Ich weiter sein Wesen treiben mag.
3
Nicht Wahrträumen, überhaupt Träumen ist wunderbar. Schlaf hebt Wahrnehmung auf, gleichwohl treten
Gestalten und Lokalitäten plastisch hervor, agieren eine eigene Geschichte, die meist nicht in Beziehung zu
kürzlich Geschehenem, Gesehenem, Gehabtem steht. Identität des Ichs wird nicht aufgehoben, nur von
Nebensächlichem abgetrennt, es kennt im Traum sich besser als im Wachen, wird da Halsabschneider, der im Wachen nur
Coupons abschneidet. Nach rein physischem Pubertätszwang weicht das Sexuale, das Freud für die wahre Traumwurzel
ausgibt, entweder ganz aus dem Traumleben oder schmückt sich mit Unsinnlichem wie keuscher Schwermut, wo es
wachend-sinnlicher Begierde nachlief. Alles deutet darauf hin, daß der Traum den wahren Charakterkern sich selbst
offenbart. Fernwirkung zwischen Traum und gleich darauf eintretenden Vorgängen ist ebenso unerklärlich, wie
daß man beim Augenschließen noch im Wachen willkürlich Gesichter, Landschaften, Farben aufeinanderfolgen
lassen kann: Es gibt also ein inneres Gesicht, ohne daß die Augennetzhaut berührt wird. Physiologische Deutung
fällt oft noch lahmer aus als psychologische, die Traumwelt bestätigt unumstößlich Unabhängigkeit
der Psyche vom Augenschein. Konstruktion der Nerventätigkeit als Blutwirkung des eigentlichen Lebensfluidums ist so
wunderbar eingerichtet, daß jede menschliche Technik daneben plumpe Nachahmung, in dieser drahtlosen Sammelstelle
für unaufhörliche Funkenbotschaft ist automatisches Schwingen, Spannen, Ein- und Ausschalten nicht vorstellbar,
Unsichtbares arbeitet hier unverdrossen Tag und Nacht, auch wenn Sinne schlafen und Körperbewegung erlischt. Dies also
ist der autonome Spiritus rector, die nur bei Körperfunktionen sichtbar werdende Außenwelt das
Nebensächliche. An diesem philosophischen Sinn des Träumens, da schon die Alten den Schlaf des Todes Bruder nannten
und Thanatos als träumerischen Jüngling darstellten, kann keine altkluge Physiologie rütteln, denn die
Tatsache, daß Vorstellungen ohne Wahrnehmung als Traum auftreten, ist um so erstaunlicher, als völlig
phantasielose Verstandesmenschen hier plötzlich bewußte Phantasietätigkeit ausüben. Wenn ferner Ton oder
Lichtschein den Gang des Traums beeinflussen können, wie behauptet wird, so
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