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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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seine Dichtung. Sobald man bei Zunftphilosophen ein Schwelgen in
Formeltrockenheit bemerkt wie bei Herbarths Apperzeptionen oder englischen Utilitariern, ist's mit dem Denken nicht weit her.
»Wahre Liebe denkt in Tönen, denn Gedanken stehn zu fern«, singt Tieck so hübsch, doch wahres Denken
denkt in Büdern, denn Gedanken stehn zu nah, blasse Formeln bleiben leblos, bis sie in Gleichnissen plastisch vom
Denkenden ferngerückt und so vor ihm lebendig veranschaulicht werden. Weil Gott sich anschauen, deshalb das Weltbild
materialisieren muß, muß auch die Psyche die Idee als Bild vor sich sehen.
    Höhere Mathematik nimmt als bewiesen an, was sie voraussetzt. Alle Achtung! So und nicht anders entstanden alle
Kirchendogmen, dann geht alles wie geschmiert. Man sollte endlich lernen, auf welcher Basis die Wissenschaft beruht, sobald
sie die Aufgabe äußeren Registrierens verläßt und in die Ferne schweift, wo ihr das Gute so nahe liegt,
nämlich nur Ausdeutung und Ausbeutung äußerlicher Materiebeziehungen als praktische Milchkuh zu weiden. Ein
glücklicher Spezialist wie Pasteur starb als braver Katholik, weil Wissenschaft und Religion zwei ganz getrennte Gebiete
seien; das spricht Bände für die geistige Unreife solcher Materieexperten. Da scheint die Haltung Darwins, Haeckels
usw. achtungswerter, weil sie wenigstens mutig sich zu ihrer Göttin der Vernunft bekannten, denn wer sich nur mit
Materie befaßt, darf auch nur an Materie glauben. Den wenigen Naturforschern, denen gerade ihr Forschen den Ausblick
ins Transzendente öffnete, sei Preis und Ehre, doch überzeugte Deisten sind keine Kirchenchristen, ein Gelehrter,
der katholische Sterbesakramente empfängt, bezeugt nur seine Ungelehrsamkeit in allem Hochgeistigen und die Richtigkeit
von Chamberlains Urteil, daß der mittelmäßigste Mensch heut ein berühmter Spezialist werden könne.
Verbannte doch selbst Descartes gleichsam Gott auf den Isolierschemel einer unbewohnten Wüste analytischer Geometrie!
Wenn E. v. Mayer ihn sinnlos »Mönch« schimpft, so war seine »Methode« jedenfalls nicht radikal
genug für heutige Materialisten, weil seine weise Zurückhaltung die Unmöglichkeit von Nur-Mathematik erkannte.
Den ethisch überlegenen Pascal führte Mathematik aus fanatischer Frömmelei zu einer Mystik, deren katholischer
Anhauch den erstrebten Horizont umnebelte. Beide Begründer der hohen Mathematik beweisen nur, daß kalte
Nüchternheit der Zahlenrechnung einer reinen Erkenntnisfreiheit widerstrebt und in Halbheit ideologischer Mechanik oder
mechanischer Ideologie steckenbleibt. Doch diese schemenhafte Schematik hat wenigstens das Gute, Unendlichkeit des Geschehens
vorauszusetzen, wie es im All nicht anders sein kann. Demgegenüber heischt die Eindeutigkeit der experimentellen Physik
Unterordnung der ihr so nötigen Mathematik unter sogenannte Wirklichkeit. Unterscheidung beider Disziplinen in
»konditioneil« und »kausal« (Gehrke) erscheint müßig. Mathematik verlegt das Kausale in
Logik der Denkschlüsse, Physik aber müßte konditionell arbeiten, wenn sie logisch dächte und nicht
Kausalität mit äußerlicher Empirie verwechselte. Sobald sie nur strenge Beobachtung des Sichtbaren will,
müßte sie alle kombinierten Naturgesetze fallen lassen, die als bloße Vernunftschlüsse nur konditionell
sein können. Das tut sie aber wohlweislich nicht, weil sonst ihr Experimentieren in lauter Mosaik auseinander fiele, das
man nur künstlich zusammensetzen kann und das gleichfalls nur konditioneile Bedeutung hätte. Was die Physik kausal
nennt, geht aus Voraussetzung bindender Naturgesetze hervor. Diese Prämissen als Gegebenes, Unbedingtes vorschützen
und in Rechnung setzen, vergewaltigt den reinen Kausalbegriff. Das Unsichtbare als unwirklich ausschalten und dennoch mit
unsichtbaren Gesetzen hantieren müssen, so blamiert der Realismus sich selbst.
    »Exakte« Wissenschaft kam gerade durch willkürliche Selbstherrlichkeit rein spekulativer Hypothesen
zustande. Über der höheren Mathematik prangt, wie schon erwähnt, Descartes' ungeheuerliche Prämisse:
»Ich nehme an, daß alles Gesuchte schon gefunden sei« und Kopernikus nannte bescheiden seine Heliozentrik
nur »eine mögliche Hypothese«. Wenn das schwindelnd hohe Logarithmengebäude sich ins All projiziert und
die Astronomie daran hinaufklettert, so scheint die Übereinstimmung der Berechnung mit planetarischen Vorgängen ein
viel größeres Wunder als die

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