Der Aufgang Des Abendlandes
anti-atomistisch einheitlich wirkenden Bewußtsein abgeben. Übrigens
entschied sich die Physik bereits in obigem Sinne, indem sie die Masse des Atoms von dessen Energie abhängig macht,
für deren Erhaltung sich die der Materie unterzuordnen hat. Tausend Sonnen brauchen nicht »erhalten« zu
werden, wohl aber ist die Kraft, aus der sie stammen, unvergänglich. Ändern Sonnen das Postulat Unendlichkeit?
Nicht nur fürs Auge, sondern auch fürs Teleskop enthalt das mächtige Himmelsgewölbe leere Räume?
Das ist wahrscheinlich ein Irrtum, der ganze Äther dürfte mit Dichtkörpern durchsetzt sein. Die Unendlichkeit
hat vielleicht den gleichen Horror Vacui, den das menschliche Bewußtsein empfindet. Man darf ruhig folgern, daß
das Element der Unendlichkeit, nämlich der Äther, mit der Stoffrealisierung identisch und das Unsichtbare nicht
rundweg das Unstoffliche sei. Man muß sich nur von allen bisherigen Stoffbegriffen frei machen und das Psychische, dies
Äquivalent des Unsichtbaren, von jeder Abstraktion befreien, es vielmehr als die gleiche Trägerin aller
Weltkräfte auffassen wie den Äther. Dieser macht sich ja in größerer oder kleinerer Dimension dem
bewaffneten oder unbewaffneten Auge sichtbar als ein bläulich erscheinender Himmelsstoff. Was aber irgendwie sichtbar
wird, ist schon deshalb nicht das wahre Wesen einer Kraft, sondern nur ihr Sinnbild. Seit den ältesten Zeiten hat man
hinter diesem »Himmel« die Unendlichkeit und in ihr den Sitz der unsichtbaren Weltpsyche geahnt, ehe man noch im
entferntesten die physikalische Allmacht dieser anscheinend stofflosen Erscheinung kannte. Man vergleiche die wundersame
Intuition Napoleons über den Äther als allgemeines Psychenreservoir. Indem wir aber dem Äther wie der Psyche
die gleiche Notwendigkeit steter stofflicher Emanation zuschreiben, erkennen wir sie als eins und den Begriff
»Geiststoff« (Mind-stuff) als einen Schuß ins Schwarze.
Daß die Sonne vermöge ihrer Schwerkraft das Licht der ihrem Rande nahen Fixsterne von ihrer geradlinigen Bahn
ablenke und daher Lichtkrümmungen stattfinden, diese Stütze der Relativitätstheorie und ihre astronomische
Bestätigung erweist sich nach Lenards Feldzug gegen Einstein als Schein? Denn der alte Mathematiker Soldener behauptete
schon 1801 Gleiches, obschon er von den durch Einstein umgestürzten alten Raum- und Zeitbegriffen ausging, so daß
Einsteins neue Formeln teüs überflüssig, teüs auf die gleichlautende Berechnung aus ganz andern
Voraussetzungen nicht anwendbar erscheinen. Daß ein Kathodenstrahlenforscher wie Lenard den durch Hertz und Maxwells
Elektrizitätslehre geheiligten Äther pietätvoll verteidigt, könnte man ja nur als erfreulich billigen.
Doch solange die Physiker selbst den letzten zureichenden Grund ihrer Materie mit empirischem Rüstzeug behandeln, wo
doch jede Möglichkeit des Experiments fehlt, und die sinnbildliche Bedeutung ihres Uräthers ihnen sozusagen ein
kauderwelsches Fremdwort bleibt, werden sie die Klippe physikalischer Widersprüche in ihrer Ätherlehre nicht
umschiffen. Die Relativitätstheorie mag physikalisch wenig bedeuten, das ändert nicht ihre erkenntnistheoretische
Bedeutung, indem sie in die chinesische Mauer der Naturgesetze ein breites Loch schlug.
Nicht als ob Einsteins mathematischer Scharfsinn selber philosophisch etwas Höheres beabsichtigte als den
üblichen Gelehrtenkrakeel über Formeln, wodurch man im Konversationslexikon die Unsterblichkeit gewinnt, etwa so:
»Der geniale Urheber der heute freilich überlebten Nullstrahlentheorie ...«, man begackert feierlich den
Stuhlgang der Natur wie ein frisch gelegtes Ei, verliert sie aber aus dem Auge, denn selbst mikroskopische Untersuchung ihrer
Eingeweide erriete nicht, wie sich ihr Weltenblut durch den Allkörper verteilt. Wissenschaft denkt durch und durch
materialistisch, benimmt sich aber wie ein Ideologe, der Schatten nachrennt. Ihre Hypothesen gleichen Rousseaus
Gesellschaftsvertrag mit der Prämisse »der Mensch ist freigeboren«, während die Abhängigkeit des
Säuglings sich endlos fortsetzt und seine Ketten von ihm selber geschmiedet werden, von der Feigheit seines jedem Zwang
gehorchenden Ich. Wenn die Gelehrten prahlen, sie suchten freigeborene Wahrheit ohne Rücksicht auf materiellen Erfolg,
so wäre dies ein Idealismus, der wenig zu materialistischer Anschauung paßt. Der kundige Thebaner weiß es
besser und würdigt die Amtsinteressen, die jedes Eingehen
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