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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Humanismus fiel sich oft selbst in die Flanke, Bewußtsein des Unendlichen sei Unendlichkeit des Bewußtseins? Das
ist gar nicht der Kardinalpunkt, sondern woher kam dies Brunonische Dell' infinito in endliche Hirne? Das Gefühl ist
atheistisch, »leugnet gegenständlichen Gott«? Der Mensch bedarf Gott als Ergänzungsideal seiner
Bedürftigkeit: Evangelienharmonie malt Heliand als Siegfried mit zwölf Apostelrecken, doch als Baldurgegensatz zum
heimischen Berserker. Mit so muffiger Spekulation lockt man keinen faulen Hund vom Ofen, »wie sollt' ich, was ich
glaub', mir erst beweisen lassen?« (Rückert). »Psychologisches Objekt bin ich mir selbst, physiologisches
den anderen«? Also nur ich selbst bin für mich abgesondertes Leben, Einsamkeit ist Unabhängigkeit.
Unsichtbare Größen kann man so wenig messen wie die Ameise den Menschen, dessen Stiefel sie abtastet. Die Biene
erkennt wenigstens ihren Imker, da erdreistet sich der Mensch, seinen Imker zubestreiten, weil er ihn nicht sieht! Die Biene
wählt Tod durch eigenen Stich zur Verteidigung des Kollektivstaats: Tod, wo ist dein Stachel? Wenn Maschine ohne
Ingenieur den Jahve ablöst, so schlägt Evolutionstheologie in gleiche Bande. Dreifaltigkeit Larve, Puppe,
Käfer bildet ein Ich, eins von Licht, Wärme, Elektrizität spüren wir falsch als drei, Stoffwechsel
ergänzt sich täglich durch Luft, Licht, Wärme, so muß sich Heimliches in ihm ablagern, wie ein von
Pflanzen absorbiertes Licht zum Steinkohlenlager wird. Während gelehrte Fakultäten über stets veränderte
Tiefe hüpfen wie Irrlichter, steht Psyche in hellen Flammen, sobald man Bodenschätze des Unbewußten
entdeckt.
     

13. Die wahre Relativitätstheorie.
     
     
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    Daß menschliches Denken von jeher eine Doppelwelt des Sichtbaren und Unsichtbaren annahm, zeigt die frühe
Entstehung der Mathematik. Aus einfacher Raummessung stieg sie zu metaphysischer Betrachtungsweise auf, indem sie sich immer
mehr von Raum, Zeit, Bewegung ablösen, selbständig operieren, sogar euklidische Geometrie durch neuartige
Größenauffassung ersetzen will. Sie geriet aber durch ihr Schwanken zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem auf
bedenklichen Doppelweg, der sich in keinen Scheideweg spaltete und auf dessen doppelgabeligem Geleise es keine Rückkehr
gibt. Man vergegenwärtige sich, daß der pythagorische Lehrsatz nur eine mit dem Zirkel demonstrierte Idee und
keine irgendwo in der Außenwelt gefundene Tatsache ist. Von diesem Ausgang reiner Vorstellung verirrte sich das
Messungsdenken unaufhaltsam ins dämonische Reich der Zahl, welche sich, obschon selber der Vorstellung entsprungen, an
sichtbare Materie festsaugte und hier eine wachsend verhängnisvolle Praxis übte. Aus ihr entstammt die Messung des
Eigentums und hiermit der gesamte Kapitalismus, der den Menschen von der Zahl abhängig macht, Zins und Wucher beruhen
auf Rechnen. Obschon Mathematik diese niederen Formen vornehm hinter sich ließ, bedient sie sich doch gleicher Mittel,
ihr Wesen ist Rechnen, die mechanischste Verstandesübung. Mögen Logarithmen sich noch so abstrakt gebärden, es
bleibt halt Zahlenaddition wie im Geschäftsbuch eines Finanziers. Vergleicht man damit den hochgeistigen Ursprung, so
wirkt es, als hätten die Veden sich in jüdische Kabbala verwandelt, die dem Weltgeheimnis mit dem Spinnennetz der
Zahl auflauert, uneingedenk der Unwahrscheinlichkeit, daß ein Adler sich um Spinnengewebe kümmern werde, die er
mit leichter Berührung seines Flügelschwungs von der Wand streifen kann. Das ist Abstraktion im übelsten Sinne
und Goethes Wort berechtigt, daß Mathematik die Anschauung töte, was Schopenhauer erst recht unterschreibt.
Abstraktes Denken steht hoch im Preise, doch wenn zwei dasselbe tun, ist's nicht dasselbe, so verwandelte Spinoza die
gewaltig anschauliche Metaphysik Brunos in Substanzrechnerei.
    Im eigentlichen Sinne ist intuitives Denken niemals abstrakt, alle Ideen treten wie die platonischen plastisch auf,
ähnlich Kunstgestalten. So war Schopenhauer, obschon ein schiefer Denker, ein Künstler. Wenn er den deutschen
Musikrausch hätschelte – Leibphilosoph Richard Wagners – und hörbare Tonkunst, die ganz in Sinnlichkeit
wurzelt, für leibhaftige Weltidee erklärte, dabei aber Rossinis Rosinen für schmackhafter hielt als Beethovens
Nektar, so ist dies eben sein künstlerisches Eigenwesen, sein ganzes Denken ästhetisch. Goethe schrieb seine
Farbenlehre nach gleichem Maßstab wie

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