Der Aufgang Des Abendlandes
handle so, als ob sie göttlichen Geboten
gehorche, während Goethe schon weiter erkennt, daß wir dafür den Unsterblichkeitsglauben »nicht
entbehren können«. Das heißt: Weil sonst Wert jeder Persönlichkeit hinfällig, jede Ethik zwecklos
wäre.
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In der Tat atmet jeder Versuch des Materialismus, bei mechanischem Walten von Naturprozessen dem Menschenleben
irgendwelche Würde zu wahren, so verzwickte Scheinheiligkeit, daß wir jeden Offenherzigen mehr achten, der nichts
als herzlose Gemeinheit des Daseinskampfes und keinerlei höheres Seelenleben anerkennt. Das deckt sich gründlich
mit Schopenhauers Verneinung und nur phantastische Verschrobenheit kann hieraus lebensfreudige Bejahung predigen (Nietzsche).
Denn die nichtige Vergänglichkeit wüsten Ringens um Sinnengüter verdammt, ob es will oder nicht, das
Menschenleben zur innern Verzweiflung, so daß scheinbare Stachelung der Kampflust nur einem Delirium gleicht, in
Wahrheit aber dauernde Lähmung der Lebenskraft vorwaltet. Um sich darüber wegzutäuschen, erfand man den
Evolutionswahn, der sich vom »Jenseitswahn« freilich dadurch unterscheidet, daß letzterer sich
experimentell nie widerlegen läßt, ersterer aber durch jede vorurteilslose Prüfung sich in Rauch
auflöst. Sehr komisch mutet vollends an, daß heroische Persönlichkeiten (Dühring usw.) dem Menschen
zumuten (im Grunde tut dies auch Nietzsche), er solle trotz Verzichtleistung auf jede moralische Weltordnung und eigene
Fortdauer das Leben als Schule heroischer Ethik auffassen und seine Persönlichkeit großartig aufwärts
entwickeln. Wozu denn, da blindes Walten der »Natur« ihn jeden Augenblick wegraffen kann, und vermöge
welcher eigenen Triebe und Kräfte? Doch nur durch ein zu heroischer Ethik fähiges gewaltiges Seelenleben? Da dies
aber innerhalb mechanistischer Auffassung keinen Platz hat, jeder wirkliche Seelenbegriff etwas Immateriell-Antimechanisches
und Unzerstörbares bedingt, so verpufft jede materialistische »Moral« im leeren Raum. Vielmehr gründen
sich Brunos Eroici Furori als Proklamierung heroischer Weltanschauung auf festes Gottes- und Unsterblichkeitserkennen.
Immer haben ziemlich viele diese rein seelischen Triebe geteilt, obendrein hängt die menschliche Psyche nicht
bloß am Sinnlichen, sondern, vom Ethischen abgesehen, auch am Ästhetischen, also hat sie angeborene Neigungen zu
Immateriellem. Wie kommt Saul unter die Propheten, ein so für sich bestehendes Seelenleben in die Mechanik? Und wenn es
sich dabei noch um raffinierte Kulturblüte handelte! Aber wir finden den Kunsttrieb schon bei Urmenschen und oft bei
schlichten Volksleuten ehrlicher als bei Pseudogebildeten. Der Materialismus kann also die Würde des Menschen nur
retten, wenn er eine Position nach der andern verläßt und ein angeborenes Seelenleben zugibt, wie es sich
schlechterdings nicht mit bloßem Sinnenleben verträgt. Denn auf letzterer Grundlage wäre jede, nicht nur die
heroische, Persönlichkeit ungeheuerliche Selbsttäuschung. Eine nur auf kürzeste Kündigungsfrist
gestattete Persönlichkeitsbildung besäße höchstens für den zeitweiligen Inhaber relativen Wert,
objektiv gar keinen, sie wäre ironisch flüchtige Einbildung. Nun pflegen aber alle Natur- und Lebenserscheinungen
irgendwelchen Sinn zu haben, zumal bestrebt sich die Naturwissenschaft, einen solchen zu entdecken, und der Mensch kann sich
wirklich nicht anders helfen als je nach seiner größeren oder kleineren Anlage eine Persönlichkeit zu bilden.
Der Bolschewismus, diese äußerste Entgleisung des Materialismus, ist damit nicht einverstanden, sondern
möchte durch erlogene »Gleichheit« jeden Persönlichkeitswert vernichten. Daß er schon daran
scheitern wird und muß, erscheint minder wichtig, als sein durchaus logischer Haß, der im Individuellen die
Wurzel alles Kultur-Differenzierens fürchtet. Er sollte auch offen bekennen, was er aus geistiger Verworrenheit weder
darf noch will, daß er jede Ethik, also auch sozialistisch-kommunistische verfolgen muß, womit das Chaos
wiederkehrt. Denn wenn der radikalste linke Flügel der Materialisten schlankweg behauptet, Leben habe überhaupt
keinen Sinn und höchstens Wert in grobsinnlicher Befriedigung der Triebe, so geben wir unsererseits gerne zu: ohne den
Unsterblichkeits- und Gottesgedanken wäre alles, was wir Psyche nennen, nur unnützer Ballast.
Für etwas so Ephemeres, wie dies klägliche »Diesseits« sich um Ethik zu
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