Der Aufgang Des Abendlandes
jedem Spezialressort prompt bedient wird.
»Schirp macht alles«, Bildung zu Schleuderpreisen, die Masse muß es bringen, das Ganze ein Konzern für
geistigen Mittelstand mit Shoddyluxus zwischen Theater- und Universitätshumbug. »Man besitzt keine
größere Herrlichkeit als die seiner selbst«, dies große Leonardowort gilt nicht mehr, denn wer hat
noch ein Selbst, das ihm abhanden kam?
Selbst heißt Herz: Die englische Sprache hat für Auswendiglernen den wundersamen Ausdruck »learning by
heart«, das ist nach neuster Forschung physikalisch richtiger als rationalistische Auffassung der
»Blutpumpe«, Gehirntätigkeit identisch mit Blutzufuhr, Blut als Lebenssaft symbolisiert die Beschaffenheit
psychischer Anreize. Das Auswendiglernen des Herzens ist die Sprache des Unbewußten; was die deutsche Sprache
unübersetzbar »Gemüt« nennt, ist der Ausgang schöpferischer Einbildungskraft ins Unsichtbare, dies
bedingt im Ätherall ein gleiches höchstes Gottgemüt. Von ihm erwartet der Mensch Erfüllung der sittlichen
Forderung, ihn nicht als Spielball zwecklos hin und her zu rollen, sondern ihm weitere Möglichkeit zu leihen für
Ausfüllung des zersplitterten Torsos, den selbst das reichste Erdenleben immer vorstellt. Ein Gott, der wie ein
unmündiges Kind zum Spaß Fliegen rupft, könnte auch das All beliebig zerzupfen. Denkt man ihn aber als
unerbittlich gleichgültige Anangke, so kann man davon nicht den Begriff Allweisheit trennen, jeder Ausblick ins All
bestätigt dies. Denn wo man die Natur auf scheinbarer Willkür plötzlicher Grausamkeiten ertappt, wissen wir
nie, ob diese scheinbare Inkonsequenz nicht tiefer Berechnung der Weltökonomie entspringt oder geheimer Notwendigkeit
der Weltethik wie der Schwefelregen auf Sodom.
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Ein mechanisch erzeugtes All aus zufälligem Zusammenstoß der Atome bedeutet: Aus absoluter Unvernunft ging
absolute Vernunft der Planetenordnung hervor. Wenn jemand beim Kegeln immer alle neune wirft und beim Würfeln immer nur
Treffer erzielt – was niemals vorkommt, es sei denn durch Betrug – so sagt sich der Dümmste, daß es
hier nicht mit rechten Dingen zugehen kann, daß es Glück des Zufalls nicht dauernd gibt. Der Natur aber mutet man
das Unnatürlichste zu, daß ihre Gesetze lauter Zufallstreffer waren und sind, daß zufällig entstandene
Mechanik sich mit launischem Glück in unaufhörlich treuer Ehe verschmilzt, daß die Welt täglich ins
Chaos auseinanderfiele, wenn nicht die Zufallsordnung dauernd aus sich selbst unbegreiflich begünstigt würde.
Materialismus ist die Lehre der Weltunvernunft. Sie hatte aber dabei den köstlichen Einfall, den armen Menschen mit
Vernunft zu begaben!
Rückzugskanonaden wie Boules »progressive Modifizierung« der Hirnsubstanz sind hohle
Böllerschüsse, denn das wäre wieder wunderbare Zweckmäßigkeit. Uns verwirrt die unabsehbare Reihe
von Beziehungen. So begleichnist Mill den Tau, warum er kälter sei als das von ihm berostete Eisen, doch jede
Wärmetheorie führt wieder in unendliche Bewegungsferne unerkannter Beziehung. Wenn man z.+B. aus Loch im Helm auf
Kugeldurchschlag schließt, kann man allenfalls aus Einschlagwinkel die Tragweite des Geschosses vermuten und die
Distanz berechnen, aus dem es abgefeuert, was schon erhebliche Forschung wäre. Doch vom Schützen und seinen Motiven
wissen wir gar nichts, so auch nichts von letzten Ursachen eines Naturvorgangs. Geschossen wird ja viel, z.+B. unter
patriotischer Janitscharenmusik, doch »nicht jeder, der bei Waterloo focht, ist ein Held« (Wellington an Scott),
auch Carlyles Heldenverehrung verengt moralinsauer unklar den Begriff, denn Held ist jeder, der des Geistes Befreiungskrieg
gegen die Menschheit mitmacht, Cervantes braucht nicht bei Lepanto zu fechten, erst sein Don Quixote macht ihn zum Helden.
Von unbekannten Schützen der Weltordnung spüren wir nur hier und da eine Kugel, die ins Schwarze trifft.
Newton erkannte, daß Gesetze in der Natur nur Formeln für unser Begriffsvermögen seien, Philosophenformeln
sind so wenig gesetzmäßig, daß von Descartes so grundverschiedene Systeme ausgingen wie das von Leibniz und
Locke. Für die Substanz, die er nur als unsichtbaren Begriff seines eigenen Intellekts kennt, und die Natur, von der er
nur die Außenseite im Sichtbaren kennt, kann der Mensch keine passende Formel finden. Pantheismus ist entweder
verschleierter Deismus, so daß man keine neue Formel dafür braucht, oder
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