Der Aufgang Des Abendlandes
bemühen, wäre
vergeudete Anstrengung. Ergötzlicherweise trägt aber die Amoralität ihre Remedur in sich selbst, insofern die
zügellosen Egoismen sich untereinander totschlagen und das Dasein vollends unerträglich machen würden. (Der
Bolschewismus verbürgt nicht mal die erlogene Gleichheit, die Ungleichheit der Muskelstärke entschiede, und das
roheste Vieh würde am längsten übrig bleiben.) Ethik ist also notwendig, wie schon die ältesten
Menschenarten ruckweise einsahen oder sich vielmehr unbewußt dazu genötigt fühlten, ist aber unmöglich
ohne Wechselspiel der Persönlichkeiten, ist außer bloßer Polizeiaufsicht zum Schutz der Ichegoismen unsinnig
ohne Beziehung auf Gott und Unsterblichkeit. Und da Persönlichkeit für so kurzes kümmerliches Dasein
unbrauchbar wäre, so rennt Skepsis umsonst gegen die Wand der Wirklichkeit, daß Persönlichkeit und Ethik
uraltbekannte Notwendigkeitstatsachen sind. Sinnloses und logisch Unmögliches als Allparole auszugeben ist einfach
Dummenjungenstreich, metaphysische Aufklärung nur deshalb verlachend, weil sie statt grausamer Sinnlosigkeit erhabene
Weisheit aus dem Allphänomen abliest. Den klarsten Denkbeweisen tönt immer nur Geschrei einer
Kleinkinderbewahranstalt entgegen: auf den Tisch legen, sonst glauben wir nicht! Nitschewo! Vom notwendig Unsichtbaren
Handgreiflichkeit verlangen ist um so kindischer, als der Materiegläubige selber keine Spur materieller Beweise
aufbringt, sobald er für seine Zwecke abstrakt definieren will.
Tatsächlich stellt sich Kants Lehre genau auf den Kopf: Die Wirklichkeit Gottes beweist die Möglichkeit der
Ethik, beileibe nicht der »Freiheit«, die nur ein scholastischer Wahn. Historisch beweisbar ist nur die
Gottesidee das primär Gegebene, sie geht dem Glauben an jenseitige Fortdauer vorher, erst aus beiden stellt sich die
Notwendigkeit einer Sittlichkeit ein. »Selbständiges Gewissen« war noch nie »Sonne einem
Sittentag« (Goethe), sintemal es so Selbständiges nicht geben kann und das »Gewissen« sich individuell
bei jedem differenziert. Nietzsche verlegt den Ursprung der Religion ins schlechte Gewissen, was wie gewöhnlich falsch
bei ihm gesehen, denn der Wilde hat amoralische Gewissenlosigkeit ohne »schlechtes Gewissen«, kam umgekehrt erst
durch Anerkennung eines notwendigen höchsten Wesens zu Moralbegriffen. Das darf man eher Erweckung eines guten Gewissens
nennen durch Gewinnung eines Verhältnisses zu »Gott«. Kants Beweis Gottes aus menschlicher Ethik hantiert
aber geradeso konfus wie die Wissenschaft, die sich als erleuchtete Lehrmeisterin einer blinden seelenlosen Materie
aufbläst, deren stumpfe Indifferenz sie als Produkt dieser »Natur« doch selber teilen müßte. Kant
schiebt nämlich dem Übersinnlichen menschliche Funktionen unter. Wollen und Sollen (Vernunftethik), Gott aber ist
»höher denn alle Vernunft« und wäre als Vereinspräsident für Ethische Kultur eine sehr
komische Person. Nur eine »reine Vernunft«, die Kant doch als unmöglich im Menschen ablehnt, könnte
reines Wollen und Sollen kennen. Beim Menschen geraten schon Sinnlichkeit und Verstand in Zwiespalt, daraus entsteht
organisch die »Pflicht«, zwischen niedern und höhern Interessen zu wählen. Wer mag aus solchem Zwang
innere Freiheit folgern, zumal fast immer die niedern Interessen obsiegen? Ein utilitarisches Rindvieh aus Herbert Spencers
Schule stochert mit seinen Hörnern im leeren Raum herum, hier aber darf man den Stier bei den Hörnern packen und
Pflicht für einen bloßen praktischen Zweckbegriff erklären, derart, daß er seine staatliche Stütze
durch Berufung auf einen Kirchengott erhält, der angeblich Pflichten kommandiert habe. Solche Pflichten werden, des
sonstigen religiösen Brimboriums entkleidet, bald demaskiert als Ausführung verkappter Frongebote, obenan steht:
»Seid untertan der Obrigkeit, denn solche ist von Gott!« (Was der Apostel natürlich nur ähnlich meinte
wie Jesu vornehme Abfertigung: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist!« – nämlich
daß man die Herren dieser Welt schalten lasse, weil alles irdisch Gegebene notwendig und vorbestimmt, das Reich Gottes
aber inwendig und außerhalb solcher Schranken sei.) Daß diese Scherze nichts mit Ethik gemein haben, versteht
sich von selbst. Die Scheinmoral, die auch sexuelle »Sittlichkeit« nur im Machtinteresse der
staatlich-kirchlichen Mittelmäßigkeitsnivellierung auslegt, stützt sich
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