Der Aufgang Des Abendlandes
verschleierter Atheismus, wonach man auch
ein Krokodü als Naturgott anbeten könnte. Kant, der im Grunde zu Augustins »de libero arbitrio«
zurückkehrte, wurde von Fichtes Wissenschaftslehre fortgesetzt: »Die lebendige und wirkende moralische Ordnung ist
selbst Gott, wir bedürfen keines andern und können keinen andern erfassen.« Da Existenz ein sinnlicher
Begriff, so existiert Gott nicht? Wer sagt denn, daß für Transzendentales der Existenzbegriff sinnlich zu fassen
sei? Der moralischen Ordnung läßt sich gleichfalls sinnlich nicht beikommen, denn ihre praktische Auswirkung im
Materieleben scheint äußerlich so fragwürdig, wie es Fichtes verzweifelter Brief vom 22. Mai 1799 dartut.
Daß sie trotzdem auch im Einzelleben waltet, sofern man geduldig aufpaßt, mußte Fichte später selber
freudig gewahr werden und Anweisung zum »seligen Leben« erteilen. Schelling sprang 1802 von Spinoza zu Giordano
über, womit der eigentliche Pantheismus sich schon verabschiedete. Denn wo ausgleichende Gerechtigkeit in ewiger
Transformation der Seelenmonade gelehrt wird, hat Pan keine Macht mehr, das Seelische mit seinem Bocksfuß zu zertreten.
Schellings Sehnen, das Absolute intellektueller anzuschauen, verfing ihn bald in solche Schlingen, daß er
bußfertig zum Katholizismus abschwenkte. Auch Kants kritischer Terror und Fichtes napoleonisches Ich sänftigten
sich. Identitäts- und Naturphilosophie läßt sich praktisch auslegen, wie man will, sie wurden in Oken
freiheitlich, in Adam Müller und Görres ultrareaktionär. Dann spielte Hegel den Ödipus, indem er sich
selber selbstkonstruierte Rätsel mit der dazu gehörigen Lösung aufgab, ohne die wahre Sphinx zu fragen, was
sie dazu meine, zu seiner Vernunftharmonie sagt die äußere Wirklichkeit nein. Die Sphinx der Einheit des
Transzendentalen mit dem scheinbar zerklüfteten Individualismus stürzt sich nicht in den Abgrund der Abstraktion,
weil man ihr Sprüchel aufsagt. Die Kirche schmeichelt sich, die Zunftphilosophie überlebt zu haben, heute aber wird
angeborener Materialismus dem Durchschnittsmenschen obendrein noch anerzogen, nur neue Erkenntnis kann dies Ungeheuer in
seinem eigenen Lager anfallen und mit dem Strahlenpfeil der Intuition erlegen wie Phöbus die Pyton. Die
Naturwissenschaft gibt sich selber Blößen, wo wie in Schillers Ballade die Rüden des Logos sie in die Weiche
packen, ihre eigenen Entdeckungen sind die schneidigsten Lanzen, die man ihrer bösen Absicht in den Rachen stoßen
kann.
Feine Ironie könnte sogar bemerken, daß der Materialist sich doch eigentlich nur mit einer sinnfälligen
Materialisierung Gottes befreunden und mit einem Abstraktum »Naturgesetz« (Schöpfung seines eigenen
Verlehrtenhirns) nicht begnügen dürfte. Denn einem Materiegläubigen liegt es doch besser, sich ein sinnlich
greifbares Ungeheuer vorzustellen als eine »Idee«, was sein Materiebegriff nur sein kann! Es ist ja wahr,
daß selbst das semitische »Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen« sich würdiger
zu Allah verhielt als das Kirchenchristentum mit seiner Götzenbilderei. Der Inder vollends schaudert vor der
Vermessenheit, sich vom höchsten Wesen überhaupt eine Vorstellung zu machen. Gott als Person anbeten ist
Blasphemie, »höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit«, aber je höher ein
Mahatma wie Prospero-Shakespeare steigt, desto unpersönlicher fühlt er! Immerhin wird man gerade dem
Übermenschen (Genie) Persönlichkeit nicht absprechen und in einem über Menschenbegriff erhabenen Sinn
muß man den Inbegriff von Allmacht und Allweisheit wohl als Persönlichkeit (nur nicht Person) auffassen,
All-Persönlichkeit, welche alles Nieder-Persönliche des organischen Lebens gleichzeitig umfaßt. Das
theosophische Mysterium (lange vor »Christus« entstanden) von Menschwerdung und Kreuzigung läßt sich
nur mit dieser Auffassung vereinen: Gott-im-Menschen muß durch Selbstentäußerung und Opfer die
angehäufte Karmaschuld entsühnen. Denn da die Weltseele sich materialisierte und ihr Licht in zahllosen
Lebensspiegeln brach, muß erneut diese scheinbare Vielheit in Einheit zusammengefaßt werden, indem »des
Menschen Sohn« den göttlichen Lichtursprung in sich zum Ausdruck und den umdunkelten Ichen zum Bewußtsein
bringt, daß sie »Söhne des Lichts«, »Gottes Kinder« sein sollten. Die unsinnige und
geradezu blasphemisch anmutende Vorstellung, daß Gott sich buchstäblich
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