Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)
Unterschied zwischen dem Menschen und dem stummen Tier.» (7,6) Da die übrigen Besonderheiten des Menschen wie Sprache, Lachen, Planung und Vorsorge für die Zukunft zumindest ansatzweise auch bei Tieren auftreten können, reduziert sich die Differenz zwischen Mensch und Tier auf die Religion. Der aufrechte Gang dient einmal mehr als Zeichen für diese nunmehr einzige Differenz. Die Welt ist um des Menschen willen geschaffen und der Mensch um Gottes willen, «gewissermaßen als Priester am göttlichen Tempel, als Beschauer der himmlischen Werke und Dinge. Denn der Mensch allein besitzt Empfindung und die Fähigkeit zur Vernunft und kann darum Gott erkennen, seine Werke bewundern und seine Macht und Kraft betrachten. Deshalb ist er mit Einsicht, Geist und Klugheit ausgestattet, darum allein unter allen übrigen Lebewesen in aufrechter Leibeshaltung geschaffen, damit er deutlich zur Schau seines Vaters aufgefordert ist.» (14,1–2)
Wenn wir diese Passage als eine Aussage über die Natur des Menschen, über seine Aufgabe und Bestimmung in der Welt betrachten, so ist sie unschwer als eine christliche Reformulierung des antiken Topos vom Menschen als contemplator caeli zu entschlüsseln. Wenn wir ‹Gott› durch ‹Kosmos› ersetzen und ‹Tempel› durch ‹Schauspiel›, so erhalten wir ein genuin platonisches oder stoisches Philosophem. Aber das ist nur die eine Seite; auf der anderen enthält die laktanzische Aussage auch eine Distanzierung von eben dieser platonischen und stoischen Tradition. Denn die Aufgabe des Menschen besteht jetzt nicht mehr in der Betrachtung des Himmels und der Himmelskörper, sondern in der Verehrung eines transzendenten «Vaters». Auf diese Weise wird der sichtbare Kosmos zugunsten des unsichtbaren Gottes abgewertet. Anknüpfungspunkte für diese Abwertung gab es schon bei Platon, der die Astronomie zwar zur höchsten Wissenschaft erklärt, dabei aber nicht allein an die Betrachtung der empirischen Himmelskörper denkt, sondern an eine philosophische Astronomie, die sich auf das «wahre Oben» (Rep. 586a–b) richtet, das heißt auf die unsichtbaren Ideen. Die christlichen Autoren der Antike radikalisieren diese Depotenzierung des (empirischen) Himmels. Für sie ist er nur ein Teil der gefallenen Natur und daher nicht bewunderungsoder verehrungswürdig. Laktanz polemisiert, wie wir gesehen haben, ausdrücklich gegen die philosophische Anmaßung, das Wesen von Himmel und Erde begreifen zu wollen und rückt stattdessen den menschlichen Körper in den Fokus der Aufmerksamkeit. Damit bereitet er das folgenreiche Neugierverbot vor, das Augustinus im zehnten Buch seiner Confessiones ausgesprochen hat. Unter Berufung auf 1 Joh 2,16 stellt Augustinus der «Begehrlichkeit des Fleisches» die sich als Wissenschaft aufwerfende «Begehrlichkeit der Augen» zur Seite und verwirft beide gleichermaßen als sündige Verfallenheit an die Welt. [25] Nicht draußen in der Welt, auch in ihren großartigsten Himmelserscheinungen nicht, liegt das Heil, sondern jenseits der Welt; und der Weg dorthin führt nicht über die Erkenntnis der Welt, sondern nur über die Erkenntnis des eigenen Ichs. Wenn aus dem contemplator caeli ein contemplator Dei werden soll, so darf sich der Blick nicht nach außen, nicht einmal nach oben, sondern muss sich nach innen richten.
Ein willkommener Nebeneffekt dieser Abwertung des Kosmos bestand darin, dass sie einem in der Antike höchst einflussreichen religiösen Nebenbuhler den Boden entzog. Seit den Blütezeiten des mesopotamischen Reiches waren Sternenkulte im gesamten Nahen Osten und im Mittelmeerraum weit verbreitet. Vor der Verehrung von Sonne, Mond und Sternen hatte schon das Alte Testament ( Deut 4,19–20) eindringlich gewarnt; ohne großen Erfolg. Dass die Himmelskörper göttliche Wesen sind, war eine von den meisten philosophischen Schulen akzeptierte Überzeugung und zugleich die Voraussetzung, auf der die vielfältigen Formen populärer Astrolatrie und Astrologie beruhten. Im Römischen Reich waren sie von jeher Element der Staatsreligion und somit Teil des öffentlichen Lebens. Aus der Sicht des jungen Christentums erschienen sie daher als ein überaus mächtiger und erfolgreicher Konkurrent auf dem lebhaften Markt religiöser Orientierung. – Ein weiterer Konkurrent war die Verehrung von Götterbildern in menschlicher oder tierischer Gestalt. Auch gegen diese vielfältigen und weit verbreiteten Formen des Götzendienstes wird in der frühchristlichen Literatur
Weitere Kostenlose Bücher