Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)
Gestalt des Menschen auf das zentrale Zeichen der christlichen Religion zu beziehen: auf das Kreuz Christi.
13. Und nach dem Tod?
Wenn einer sagt oder dafürhält, daß bei der Auferstehung die Leiber der Menschen kugelförmig erweckt werden, und wenn er nicht bekennt, daß wir aufrecht erweckt werden – so sei er im Banne.
Kaiser Justinian
Über das, was uns nach unserem Tod erwartet, ist vergleichsweise wenig bekannt. Nach christlicher Auffassung steht immerhin fest, dass wir wiederauferstehen werden, und zwar leiblich. Diese Lehre war für das junge Christentum eine Belastung. Sie widersprach frontal dem antiken Denken und konnte von den Zeitgenossen daher nur als eine Absurdität wahrgenommen werden. Auch viele Christen taten sich schwer mit ihr, nicht wenige verweigerten ihr die Anerkennung. Zum einen ließ sich die Idee einer leiblichen Wiederauferstehung nicht mit der vor allem in platonisch beeinflussten Kreisen, zu denen ja auch viele gebildete Christen gehörten, üblichen Distanzierung von aller Materie, den menschlichen Körper eingeschlossen, vereinbaren. Sie war ‹materialistisch› und sprach dem Körper einen Wert zu, der ihm keinesfalls zugebilligt werden durfte. Wenn der Körper ein Gefängnis der Seele und die Trennung beider als eine Befreiung aufzufassen war, dann konnte die postmortale Rückkehr der Seele in dieses Gefängnis nichts Verlockendes an sich haben. Dass Kelsos diese Idee als «abscheulich» und «verwerflich» (Wahre Lehre 5.14a) brandmarkte, war daher nicht verwunderlich. Zweitens ist der Körper seiner Natur nach verweslich und diese Verwesung ist unwiderruflich. Die Auferstehungslehre verkündete also einen naturwidrigen und folglich unglaubwürdigen Vorgang. Diesem Problem dadurch auszuweichen, dass man auf die Allmacht Gottes hinwies, für die nichts unmöglich sei, machte die Sache eher noch schlimmer: Musste es nicht einer Beleidigung Gottes gleichkommen, ihm die Veranlassung eines widernatürlichen Vorgangs zuzuschreiben? Und schließlich provozierte diese Lehre eine Fülle von schwierigen kasuistischen Fragen. Stehen auch Fehlgeburten ‹wieder› auf? Bleiben Missgebildete auch im Himmel behindert? Leben wir im Jenseits als Säuglinge weiter oder als Greise? Noch im fünften Jahrhundert musste sich Augustinus umständlich mit solchen Fragen auseinandersetzen und die nähere Beschaffenheit des Auferstehungsleibes erläutern. ( Civ. Dei XXII,12–27) Mit einem Verzicht auf diese Lehre hätte das frühe Christentum sich also von einer schweren Bürde befreien können. Dem stand aber entgegen, dass sie in der Bibel mehrfach bekräftigt wird. Überdies wäre mit einem solchen Verzicht die Glaubwürdigkeit der Wiederauferstehung Christi vom Kreuzestod in Gefahr geraten, der Kern des christlichen Glaubens also.
Wenn nach unserem Tod aber nicht nur unsere Seele fortlebt, sondern auch unser Körper, dann wird man der Frage nach dessen Haltung schwer ausweichen können. Werden wir also aufrecht durchs Jenseits schreiten? Oder etwa auf vier Füßen? Die Literatur gibt keinen Hinweis darauf, dass diese Frage die Gemüter der frühen Christen intensiv beschäftigt hätte und auch spätere Theologen haben sich eher selten zu ihr geäußert. Vielleicht weil eine positive Antwort auf die Frage als selbstverständlich angesehen wurde. Wenn der aufrechten Haltung die Bedeutung zukommt, die ihr in der christlichen Literatur zugeschrieben wird, dann wäre es mehr als überraschend, wenn wir erführen, dass die Menschen im Jenseits auf dieses Privileg verzichten müssten. Zumindest für das Paradies liegt die Annahme einer aufrechten Haltung also nahe; und wir werden noch erfahren, dass die Hölle keine Ausnahme macht. – Es gibt allerdings einen Hinweis darauf, dass diese Selbstverständlichkeit nicht immer von allen akzeptiert wurde, dass es jedenfalls in der frühen Kirche Stimmen gegeben hat, nach denen wir nicht in aufrechter Gestalt wiederauferstehen werden, sondern in einer ganz anderen, nämlich kugelförmigen Gestalt. Direkte Zeugnisse für diese Auffassung existieren nicht; ihre Existenz kann aber aus den Anathematismen erschlossen werden, die im Jahre 553 auf dem 5. Ökumenischen Konzil von Konstantinopel erlassenen wurden. Eines davon bedroht nämlich all diejenigen mit dem Bann, die glauben, dass der Auferstehungsleib des Herren ätherisch und von kugelförmiger Gestalt sei, und dass auch die Auferstehungsleiber aller anderen von dieser Art seien. Während das Konzil nur
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