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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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eine negative Aussage traf (der Auferstehungsleib ist nicht ätherisch und nicht kugelförmig), war die Staatsgewalt zehn Jahre zuvor einen Schritt weiter gegangen. Kaiser Justitian nämlich hatte in einer entsprechenden Verurteilung die aufrechte Haltung des Auferstehungsleibes ausdrücklich bekräftigt: «Wenn einer sagt oder dafürhält, dass bei der Auferstehung die Leiber der Menschen kugelförmig erweckt werden, und wenn er nicht bekennt, dass wir aufrecht erweckt werden – so sei er im Banne.» [27] Beide Verurteilungen richteten sich gegen Lehren des Origenes und ihre Anhänger unter ägyptischen Mönchen. Allerdings ist die These, dass unsere Körper nicht in aufrechter, sondern in kugelförmiger Gestalt wiederauferstehen werden, in den erhaltenen Werken des Origenes nicht nachweisbar. Man hat daher vermutet, dass die inkriminierte These gar nicht auf Origenes selbst, sondern auf Missverständnisse oder Unterstellungen seiner Gegner zurückgeht. Möglich ist zweitens auch, dass nicht Origenes selbst sie vertreten hat (er war zum Zeitpunkt der Verurteilung immerhin schon dreihundert Jahre tot), sondern spätere Anhänger, die unter neoplatonischen Einfluss gerieten. Schließlich ist angenommen worden, dass sie in nicht mehr erhaltenen Schriften des Origenes geäußert wurde. [28] Wie es sich historisch damit verhält, kann hier nicht diskutiert werden.
    Die Idee kugelförmiger Wiederauferstehungsleiber mag heute extravagant erscheinen. Vor dem Hintergrund der im griechischen Denken tief verwurzelten Überzeugung, dass die Kugel der vollkommenste aller geometrischen Körper sei, stellt sie sich jedoch als keineswegs abwegig dar. Schon von einigen Vorsokratikern war spekuliert worden, dass die Götter, sofern ihnen überhaupt ein Körper zugeschrieben werden kann, kugelförmig seien. Desgleichen wird den Göttern im stoischen Schrifttum ein kugelförmiger Körper zugeschrieben und bisweilen auch der vollkommen weise Mensch mit einer Kugel verglichen. Eine besondere Rolle spielte in diesem Punkt der Timaios. Die Hilfsgötter und auch der Kosmos selbst werden hier als kugelförmig beschrieben; und in Nachahmung dieser Vorbilder tritt auch der ‹eigentliche› Mensch zunächst kugelförmig auf, denn die Hilfsgötter schlossen «das Göttlichste an uns und das zur Herrschaft über alles Sonstige in uns Berufene», den vernünftigen Seelenteil also, in den kugelförmigen Kopf ein. Die Gliedmaßen wurden nur hinzugefügt, um dieser Kugel die größtmögliche Beweglichkeit zu sichern und sie «vor dem Schicksal zu bewahren auf der Erde mit ihren mannigfachen Höhen und Tiefen umherzurollen». ( Tim. 44d) Die nachhaltige Wirkung dieses Dialogs wurde oben schon betont; auch Origenes stand unter seinem Einfluss. Er war mit vielen Schriften Platons vertraut und zitierte mehrfach auch den Timaios, so dass eine Anlehnung an die hier entwickelten Überlegungen wahrscheinlich ist.
    Die dabei zum Ausdruck kommende Wertschätzung der Kugelform [29] relativiert einen Eindruck, der durch die gesamten bisherigen Ausfüh rungen dieses Buches nahegelegt wird. Denn für die antike Philosophie ist die aufrechte Haltung des Menschen zwar ein Privileg und eine Auszeichnung für den Menschen; sie ist aber durchaus nicht die beste aller vorstellbaren Körperformen. Sie ist bewunderungswürdig nur im Vergleich mit der gebeugten Gestalt der vierfüßigen Tiere, von den fußlosen Würmern und Schlangen ganz zu schweigen; nicht aber bewunderungswürdig schlechthin. Im Vergleich mit der Vollkommenheit der Kugelform ist sie nur die zweitbeste Lösung. Sie wird nach Platon ja überhaupt nur notwendig, weil der Mensch das Schicksal hat, in einer unvollkommenen materiellen Welt mit «mannigfachen Höhen und Tiefen» leben zu müssen; während es in einer nicht-materiellen, also vollkommenen Welt keine Gliedmaßen und keine Längenausdehnung des Körpers geben würde, keine Abweichung von der Kugelform also. Die in den Himmelssphären ihre ewig-unveränderlichen Kreisbahnen ziehenden Sterne sind daher kugelförmig. Akzeptiert man die Vollkommenheit der Kugelform, dann gibt es keinen Grund, sich der folgenden Annahme zu verweigern: Wenn die menschliche Seele nach der Trennung vom Körper in diese ihre himmlische Heimat zurückkehrt, lässt sie auch alle unregelmäßige Formung hinter sich und nimmt ihre ursprüngliche und eigentliche Kugelform wieder an. Diese Annahme könnte der Origenes zugeschriebenen These zugrunde gelegen haben, denn die

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