Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)
heftig polemisiert. Der aufrechte Gang spielt dabei eine beachtliche Rolle. Caecilius Cyprianus beispielsweise hält es für inakzeptabel, vor «albernen Bildwerken und Gestalten aus Erde» seinen Leib zu beugen. «Aufrecht hat dich Gott geschaffen, und während die übrigen Geschöpfe nach vorne gebückt und infolge der Neigung ihres Körperbaues zur Erde gebeugt sind, hast du eine emporstrebende Haltung, und dein Blick ist zum Himmel und zum Herrn nach oben gewandt. Dorthin schau, dorthin lenke deine Augen, in der Höhe suche Gott! … Bleibe so, wie du von Gott geschaffen bist! Mit der Richtung deines Antlitzes und deines Leibes richte auch deinen Geist empor. Damit du Gott zu erkennen vermagst, erkenne zuerst dich selbst! Verlaß die Götzen, die menschliche Verirrung erfunden hat! Zu Gott bekehre dich!» ( An Demetr. 1 6) Zu beachten ist, wie nahtlos sich die stereotype Wiederholung des klassischen Topos hier in seine inhaltliche Umfunktionierung fügt. Aus dem Argument für die Bestimmtheit des Menschen zur Bewunderung des Kosmos wird ein Argument gegen den Götzendienst; ähnlich ein knappes Jahrhundert später auch bei Laktanz. (Ira 20,10–11) Bei Cyprian finden wir auch schon die Betonung der Selbsterkenntnis als Weg zum jenseitigen Gott, die Laktanz und Augustinus später hervorheben werden. Nicht am Himmel können wir unsere Bestimmung erkennen, sondern an unserem eigenen Leib; nicht die Sterne sind unser Wegweiser, sondern wir selbst sind es. Wer sich selbst richtig wahrnimmt, wer also den aufrechten Gang ernst nimmt und in seiner Bedeutung entziffert, der kann nicht umhin, in der Verbeugung vor «albernen Bildwerken» eine Verirrung zu erkennen. An seiner aufrechten Gestalt zeigt sich somit die Bestimmung des Menschen zur Verehrung von ‹Höherem›, zur Verehrung des einen jenseitigen Gottes. – Auf im Detail unterschiedliche, doch im Ergebnis konvergente Weise suchen die christlichen Apologeten und Kirchenväter den aufrechten Gang als einen anthropologischen Wegweiser zur Erlösung zu deuten. Er zeigt an, wohin wir zu streben und was wir zu meiden haben.
Doch wo bleibt Jesus? Da sich das Christentum vor allem anderen auf die Sendung Jesu stützt, da es an ihn als den menschgewordenen Gott und Erlöser glaubt, sollte man erwarten, dass auch er mit dem aufrechten Gang in Zusammenhang gebracht wird. Eigenartigerweise ist das aber kaum der Fall. Eine Ausnahme findet sich bei Justin dem Märtyrer. In sei ner Ersten Apologie, verfasst im Jahre 155, zählt Justin die Bemühungen der Heiden auf, die Zeichen und Wunder um Jesus dadurch zu entwerten, dass sie ähnliche Zeichen und Wunder in der antiken Welt anführen. Nur im Hinblick auf ein Ereignis versage diese Strategie: im Hinblick auf die Kreuzigung. Doch gerade sie ist nach Justin das größte Geheimnis der Macht und Herrschaft Christi, wie sich an zahlreichen sinnfälligen Dingen leicht zeigen lasse: «Denn betrachtet alles, was in der Welt ist, ob es ohne diese Figur [das Kreuz] gehandhabt werden oder Zusammenhang haben kann. Das Meer kann nicht durchschritten werden, wenn nicht dieses Siegeszeichen, das hier Segel heißt, auf dem Schiffe unversehrt bleibt. Die Erde wird nicht gepflügt ohne dasselbe; Grabende und Handwerker verrichten ihre Arbeit nicht ohne Werkzeuge, die diese Form haben; die menschliche Gestalt unterscheidet sich in nichts anderem von der der unvernünftigen Tiere als dadurch, daß sie aufrecht ist, die Hände ausspannen kann und im Gesichte von der Stirne an einen Vorsprung, die Nase, trägt, durch die beim Lebenden der Atem geht und die keine andere Form als die des Kreuzes hat …» ( 1 Apol. 55) Der Zusammenhang zwischen Kreuz Christi und der aufrechten Haltung des Menschen (sowie zahlreichen anderen kreuzförmigen Gegenständen) nimmt sich ein wenig forciert aus, sollte aber nicht als ein bloß beiläufiger Einfall angesehen werden. [26] Die Verbindung mit Jesus und seinem Tod am Kreuz betrifft kein Nebenthema des christlichen Glaubens, sondern sein Zentrum. Wie sehr sich Justin der strategischen Bedeutung dieses Punktes bewusst war, zeigt seine Berufung auf den Platonischen Timaios, in dessen metaphysischer Weltdeutung er das Kreuz wiederfinden zu können glaubte. Der Demiurg breitet nämlich die Weltseele in Form des griechischen Buchstabens X (‹Chi›) über den Kosmos aus, (36b-c) so dass die Kreuzform des X zu einer Art Rückgrat des gesamten Kosmos wird. Damit gelingt es Justin, die Struktur des Kosmos und die
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