Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)
erwecken». ( Opif. § 157–58) Der Epikureer macht sich durch seine Lebensweise der Schlange gleich, die auf dem Bauch kriecht und Staub schluckt. [24] Er lebt gegen eine Bestimmung zu Höherem, die sich an seinem Körper unzweideutig ablesen lässt.
Die christliche Literatur setzt Philos Feldzug gegen Epikur und seine Schule fort. Auch ihr gilt der aufrechte Gang als Beweis für die Verwerflichkeit der Lust. An ihm lässt sich ablesen, dass ein gottgewolltes Leben nicht auf ‹niedere› Genüsse gerichtet ist, sondern auf die Verehrung Gottes. Basilius erinnert an den Kontrast zwischen der gebeugten Gestalt der Tiere und der aufrechten Haltung des Menschen, um seinen Zuhörern zuzurufen: «Dein Haupt ist dem Himmel zugewandt; deine Augen schauen nach oben. Sobald du dich aber einmal durch die Lüste des Fleisches entehrst und dem Bauche dienst, sowie dem, was unter ihm ist, so ‹bist du gleichgeworden dem unvernünftigen Vieh und ihm ähnlich›. Eine andere Sorge steht dir an, zu ‹suchen, was droben ist, wo Christus ist› (Kol. 3,1), und mit deinen Gedanken über dem Irdischen zu stehen. Wie du gestaltet bist, so richte dein Leben ein!» ( Hex. IX,2) Ähnlich Ambrosius, der die These vom Menschen als einem ‹Mängelwesen› zurückweist und die aufrechte Haltung als Beispiel für die Vorzüge des Menschen gegenüber dem Tier anführt. Darin liege allerdings nicht nur ein Privileg, sondern vor allem eine Verpflichtung: «Hüte dich, o Mensch, nach Art der Tiere dich (zur Erde) zu beugen! Hüte dich, nicht so sehr dem Leibe denn der Begierde nach zum Bauche dich zu erniedrigen! Denk an deines Leibes Gestalt und nimm dementsprechend auch geistig die Richtung nach der Höhe! Laß allein das Tier zur Erde gerichtet dem Genusse nachhängen! Warum willst du dich in Völlerei auf den Bauch werfen, da doch die Natur dich nicht auf den Bauch gestreckt hat?» ( Exam. VI,10) Weitere Beispiele für solche Mahnungen ließen sich mühelos anfügen.
Die tierische Lebensweise, die man den Epikureern unterstellte, war aus christlicher Sicht aus ethischen, vor allem aber aus religiösen Gründen verabscheuungswürdig. Zum einen schließt sie eine Missachtung der Sonderstellung ein, die der Mensch als Ebenbild Gottes in der Welt innehat. Als Repräsentant Gottes und Herrscher über die Tiere darf sich der Mensch nicht an deren Lebensweise orientieren. Die von den Hedonisten gepriesene Lust, vor allem natürlich die sexuelle Lust, bringt uns dem Tier nahe und entfernt uns von Gott. Dieser Prozess muss umgekehrt werden; wir müssen die auf unserer Ebenbildlichkeit beruhende besondere Beziehung zu Gott wieder zum Maßstab unserer Lebensgestaltung machen. Zum anderen kennt das Tier keinen Gott und hat keine Religion. Eine Orientierung an der Lebensweise der Tiere führt daher unweigerlich zu einer noch größeren Entfremdung von Gott und macht die Erlösung vollends unmöglich. Der christliche Vorwurf an die Ethik Epikurs reduziert sich also nicht auf ihren Hedonismus, sondern richtet sich zuallererst gegen ihre Religionsferne und Religionskritik. Tatsächlich besteht das große Verdienst Epikurs für seinen Anhänger Lukrez gerade in dessen Religionskritik; in seinem Lehrgedicht De rerum natura wird er nicht müde, die Befreiung vom Götterglauben und der Götterfurcht als Voraussetzung eines guten Lebens zu preisen. – Aus christlicher Sicht waren das gute, ja zwingende Gründe für eine scharfe Auseinandersetzung mit dem Epikureismus; und Laktanz gehört, wie wir gesehen haben, zu den Autoren, die sich dieser Aufgabe intensiv gewidmet haben. Neben dem Nachweis göttlicher Providenz geht es ihm vor allem um die Bestimmung des Menschen zur Religion. In seinem Werk De ira Dei hält er sich mit der Kritik an der hedonistischen Ethik nicht lange auf, sondern argumentiert vor allem für die These, dass dem Menschen «etwas Göttliches innewohnt» und dass er deshalb zur Gottesverehrung geschaffen sei. Um dies einzusehen, müsse man nicht erst von den Kräften des Geistes und der Seele sprechen; es genüge, sich der aufrechten Haltung des Menschen zu vergewissern und der daraus sich ergebenden Veranlassung zur Betrachtung der Welt. Der Mensch «tauscht mit Gott den Blick, und Vernunft erkennt Vernunft». (7,5) Schon Cicero habe bemerkt, dass allein der Mensch Gotteserkenntnis besitzt: «Er allein ist mit Weisheit ausgestattet, um allein Kenntnis von Religion zu besitzen. Darin besteht der wichtigste oder vielmehr einzige
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