Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
Vom Netzwerk:
– Trotz dieser Vorzüge fand die origenistische Kugel-Idee wenig Anklang. Laktanz etwa, von dem wir bereits wissen, dass er ein großer Anhänger des aufrechten Ganges war, weist ausdrücklich darauf hin, dass es nicht Gottes Absicht war, die Menschen kugelförmig zu erschaffen; und dass er ihnen auch nicht die Möglichkeit geben wollte, normal zu gehen und sich leicht nach allen Seiten hin zu bewegen. (Opif. V,1) Einen Grund gibt Laktanz dafür nicht an. Man kann aber vermuten, dass ihm die Tatsache der Längenausdehnung des menschlichen Körpers und seine Ausstattung mit Armen und Beinen den entscheidenden Hinweis auf die Absichten Gottes gegeben hat. Diesem Hinweis sind dann auch spätere Autoren gefolgt, denen aufgrund ihrer stark neuplatonischen Ausrichtung die langgestreckte Körperform doch als unvollkommen hätte erscheinen sollen. Ein zusätzlicher Grund mag für sie gewesen sein, dass in der Heiligen Schrift nicht nur die Menschen aufrecht gehen, sondern auch die Engel. In seiner am Ende des 5. Jahrhunderts verfassten Schrift über die Himmlischen Hierarchien, die eine lang anhaltende Wirkung bis weit ins Mittelalter hinein entfaltete, hat Pseudo-Dionysius Areopagita auf diese Darstellung der Engel ausdrücklich hingewiesen. Zu den Gründen dafür gehört, dass die Menschen «denken können und ihre Sehkräfte nach oben richten und eine gerade und aufrechte Haltung haben und von Natur aus zum Herrschen und Leiten bestimmt sind» (XV,329C). Ungeachtet seiner inhaltlichen Nähe zum zeitgenössischen Neoplatonismus ist hier von einer Kugelgestalt offenbar nicht die Rede; stattdessen firmiert die weniger vollkommene aufrechte Haltung des Menschen als würdig genug, um selbst den Engeln eine solche Gestalt zu geben. – Im Übrigen haben dann wohl auch die kurz darauf in Kraft getretenen Anathematismen von 543 und 553 das Spekulieren über kugelförmige Auferstehungsleiber beendet und alle Gläubigen zu der Überzeugung verpflichtet, dass wir «aufrecht erweckt werden».
    Aufgrund ihrer geistlichen Autorität bedürfen Konzilsbeschlüsse in der Regel keiner empirischen Beglaubigung. Zwölf Jahrhunderte nach dem 5. Ökumenischen Konzil von Konstantinopel trat jedoch ein produktiver Naturwissenschaftler und erfolgreicher Ingenieur mit Berichten an die Öffentlichkeit, die im Hinblick auf das jenseitige Aufrechtgehen als eine Art von Bestätigung gelesen werden können. In der Mitte des 18. Jahrhunderts begann nämlich Emanuel Swedenborg eine lange Reihe von Schriften zu publizieren, in denen er von seinen häufigen Besuchen im Jenseits und eingehenden Gesprächen mit Engeln berichtete. Dabei konnte er sich unter anderem auch davon überzeugen, dass die Engel sich durch ihre Körperlosigkeit von den Menschen unterscheiden, ihnen ansonsten aber erstaunlich ähnlich sind. «Ich habe tausendmal gesehen, daß die Engel menschliche Gestalten oder Menschen sind, habe ich doch als Mensch zu Mensch mit ihnen gesprochen, bald mit einzelnen, bald mit vielen in Gesellschaft … Nach all meiner Erfahrung, die nun schon viele Jahre andauert, kann ich sagen und versichern, daß die Engel ihrer Gestalt nach in jeder Hinsicht Menschen sind …» (1758: 54f.) Einfache, nicht durch falsche Gelehrsamkeit verbildete Menschen kommen in ihren Vorstellungen von der Gestalt der Engel der Wahrheit daher recht nahe, ebenso die bildende Kunst mit ihren anthropomorphen Engelsdarstellungen. Swedenborg zählt zwar alle die Körperteile auf, die den Engeln (ungeachtet ihrer Körperlosigkeit) ebenso eigentümlich sind wie den Menschen, erwähnt aber die aufrechte Haltung nicht ausdrücklich. Dies geschieht erst in einer späteren Schrift, in der er abermals über seine Eindrücke in den beiden Abteilungen des Jenseits berichtet: «Alle, sowohl die im Himmel als in der Hölle sind, erscheinen aufrecht, mit dem Haupte oben und mit den Füßen unten …» Als enttäuschend an dieser Beobachtung mag zunächst erscheinen, dass auch die Höllenbewohner an dem Privileg der aufrechten Stellung teilhaben. Der weitere Fortgang des Satzes bringt die jenseitigen Verhältnisse aber wieder ins rechte Lot: «… aber dennoch sind sie an sich und nach der Anschauung der Engel in einer anderen Stellung, nämlich die im Himmel mit dem Haupt zum Herrn gerichtet, welcher dort ist die Sonne und der allgemeine Mittel punkt, von welchem jede Stellung und Lage bestimmt ist. Hingegen die Höllischen sind vor dem Blick der Engel mit dem Haupt unten und mit den

Weitere Kostenlose Bücher