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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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verabschiedet wurden. Wir müssen also erst entrümpeln, bevor wir uns neu einrichten. Sir Thomas Browne, so der Name des Verfassers, beginnt sein Buch mit allgemeinen Überlegungen, an die er eine Behandlung der drei Naturreiche (Mineralien, Pflanzen und Tiere) anschließt, um sich dann den falschen oder zweifelhaften Meinungen über den Menschen zuzuwenden. Dies geschieht im vierten Buch des Werkes; und dieses Buch beginnt mit einem Kapitel, das ausschließlich der aufrechten Haltung des Menschen gewidmet ist. Ausgangspunkt ist die berühmte Stelle aus Ovids Schöpfungsbericht; im Folgenden werden dann auch Platon und Aristoteles genannt, sowie der Abweichler Galen. – Auffällig ist natürlich der Stellenwert, der dem aufrechten Gang eingeräumt wird. Mehr aber noch der Tenor, in dem dies geschieht. Anders als bei seinen Vorgängern und bei der Mehrheit seiner Zeitgenossen bezieht sich Browne auf ihn nicht in affirmativer, sondern in kritischer Absicht. Der ovidische Topos erscheint an der Spitze eines ganzen Heeres von Vorurteilen, mit denen endlich aufzuräumen ist.
    Zu diesem Zweck nimmt sich Browne die beiden Hauptkomponenten des Topos nacheinander vor. Wenn Ovid behauptet hatte, dass der Mensch als einziges unter den Lebewesen aufrecht sei, so stellt Browne die scheinbar harmlose Frage, was denn eigentlich unter ‹aufrecht› zu verstehen sei und unterscheidet zwei verschiedene Verwendungen dieses Ausdrucks. Legen wir eine strikte Wortbedeutung zugrunde, wie sie schon Galen im 2. Jahrhundert formuliert habe, so könne man die These vom Privileg vorerst durchgehen lassen. Der Mensch sei tatsächlich das einzige Wesen, bei dem die Oberschenkel mit der Wirbelsäule eine gerade Linie bilden. Fragwürdig werde der klassische Topos allerdings, sobald man ‹aufrecht› in einer eher populären Bedeutung verwende und vor allem aus dem Gegensatz zur Gebeugtheit der Tiere verstehe. Galen habe nämlich darauf hingewiesen, dass vierbeinige Tiere nur zum Teil gebeugt seien. Bei Vögeln könne von einer Gebeugtheit gar nicht gesprochen werden; sie seien teilweise sogar aufrecht. Und dann zieht Browne ganz beiläufig einen Trumpf aus der Tasche, gegen den sich Platon und Aristoteles noch nicht hatten wappnen können: den Pinguin. Dieser Vogel gehe nicht nur im populären, sondern sogar im exakten Wortsinne aufrecht, da seine Brust und sein Bauch einen rechten Winkel zur Erdachse bilden. (1646: 292) – Nicht viel besser sei es um die zweite Hauptkomponente bestellt: Der Mensch sei aufgerichtet, um den Himmel betrachten zu können. Dies sei mit den Augenlidern kaum zu vereinbaren, die die Sicht nach oben behindern; und im Übrigen habe auch Galen schon auf den Fisch Uranoskopus hingewiesen, dessen Blick direkt auf den Himmel gerichtet sei. Er habe auch darauf aufmerksam gemacht, dass dieser These wahrscheinlich eine Fehlinterpretation zugrunde liege: Platon habe das ‹sursum aspicere› wohl nicht wörtlich gemeint, sondern als eine metaphorische Aufforderung an den Menschen, nur erhabene Gedanken zu fassen.
    Nun war auch vorher gelegentlich diskutiert worden, ob wirklich allein der Mensch aufrecht sei. Immerhin geben die allenthalben bekannten Vögel Grund, am menschlichen Alleinbesitz dieses Merkmals zu zweifeln und so war schon Aristoteles aufgefallen, dass die Vögel «in ihrer Gestalt am meisten den Menschen gleichen». (Probl. X,54,11) An anderer Stelle erörtert er ihre Zweifüßigkeit ausführlicher und kommt dabei aus sehr wohl faktenbezogenen Gründen zu dem Resultat, «daß der Vogel nicht, wie der Mensch, eine aufrechte Haltung haben kann». ( Inc. anim., 710b34, 712b31) Wenn dieses im Hinblick auf die Sonderstellung des Menschen so beruhigende Ergebnis am Beginn der Neuzeit nicht mehr allgemein akzeptiert wurde, so ist das im Zusammenhang mit einem grundlegenden Wandel in der Tiefenstruktur des Denkens zu sehen. Die metaphysischen Grundlagen des klassischen Topos hatten an Glaubwürdigkeit verloren; Browne hält sie nicht einmal mehr einer Erwähnung für würdig. Die aufrechte Haltung war seit Platon und Aristoteles ja eben nicht nur als eine anatomische Tatsache verstanden worden, sondern als ein Privileg, das ‹rückwärts› mit der himmlischen Herkunft des Menschen zusammenhing und ‹vorwärts› auf den möglichen Rückweg in diese Heimat verweisen sollte. Diesen Kontext blendet Browne vollständig aus; der Topos interessiert ihn lediglich als eine anatomische Behauptung, gegen die er seinen

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