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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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Funktionieren von Bewegungen und können darüber hinaus als Handlungsregeln aufgefasst und technisch genutzt werden. Auch bei den Brüdern Weber spielt der Anwendungsbezug eine zentrale Rolle. Einleitend weisen sie auf verschiedene Möglichkeiten praktischer Nutzung ihrer Forschungsergebnisse hin; darunter auch die Konstruktion von Gehmaschinen: von Maschinen also, die eine Fortbewegung beispielsweise in unwegsamem Gelände ermöglichen, in dem Fahrzeuge auf Rädern zum Scheitern verurteilt sind. «Lässt sich nachweisen, wie wir es thun zu können glauben, dass das Gehen und Laufen eine so mechanische und durch Berechnung voraus zu bestimmende Bewegung ist, dass es im Einzelnen gar keiner besondern freien Willensäusserung bedarf, um die dabei wirksamen Werkzeuge in der nöthigen Ordnung nach einander in Bewegung zu setzen, so leuchtet die Möglichkeit einer z.B. durch Dampf bewegten, auf zwei, vier, sechs oder mehreren Beinen gehenden Maschine von selbst ein.» (1836: 3f.) Wir wissen heute, dass die Entwicklung des Transportwesens seit dem 19. Jahrhundert eine völlig andere Richtung genommen hat, als es hier mit der etwas treuherzigen Aussicht auf zwei-, vier-, sechs- oder mehrbeinige Gehmaschinen nahegelegt wird. Dennoch war ihre Prognose nicht in jeder Hinsicht falsch.
    Wenn auch später als von ihnen erwartet, sind Gehmaschinen inzwischen eine Realität. Von Interesse für uns sind dabei vor allem ‹humanoide› Roboter, die seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in weltweit vielen Laboratorien entwickelt wurden. [14] Konstruiert um ihren Herrchen und Frauchen bei der Lösung praktischer Alltagsprobleme zu helfen, müssen sie ungefähr menschliche Größe haben, menschliche Werkzeuge benutzen und sich in einer auf den Menschen zugeschnittenen Umgebung bewegen können. Das schließt ein: Sie müssen sich zweibeinig fortbewegen. Nach vielfältigen Vorarbeiten wurde der erste solche Humanoidroboter, genannt «WABOT-1», im Jahre 1973 in Japan vorgestellt. Er konnte Objekte visuell erkennen und hatte druckempfindliche Hände, mit denen er Gegenstände manipulierten konnte; vor allem war er in der Lage, aufrecht auf zwei Beinen zu gehen. Dabei war er allerdings auf den ‹statischen Lauf› beschränkt, eine langsame Fortbewegungsweise, bei der der Schwerpunkt des Roboters stets senkrecht über der Fläche bleibt, an der er Kontakt mit dem Boden hat (‹Stabilitätsgebiet›). Als technisch schwierig erwies sich die Realisierung eines sicheren aufrechten Ganges, wenn der Schwerpunktprojektionspunkt zeitweise außerhalb des Stabilitätsgebietes liegt (‹dynamischer Lauf›). Die Schwierigkeiten hängen damit zusammen, dass bei einer solchen Maschine der Schwerpunkt hoch liegt und die Standfläche klein ist. Schon geringe Bodenunebenheiten führen unter diesen Bedingungen zum Sturz, da sich die von ihnen verursachten Schwingungen rasch verstärken. Es erregte daher erhebliches Aufsehen, dass die Firma Honda im Jahre 1996 als Ergebnis eines zehnjährigen geheimen Forschungsprogramms einen Humanoidroboter namens «P2» vorstellte, der mit hoher Zuverlässigkeit auf zwei Beinen gehen konnte. Die entscheidenden Fortschritte lagen u.a. in der Verwendung einer genügenden Zahl von leistungsfähigen sechsdimensionalen Sensoren, die in der Lage sind, die Haltung des Roboters und die Beschleunigung seiner Glieder zu erkennen und (wenn nötig) entsprechende Korrekturen zu veranlassen, die einen Sturz verhindern. Seitdem ist die Entwicklung rasch vorwärtsgegangen. Es wurden beispielsweise Roboter realisiert, die sich bei einem Sturz abrollen und danach wieder aufstehen können. Bis zum Jahre 2020 ist die Konstruktion von Robotern vorgesehen, die sich in einer ‹normalen› Umgebung mit Treppen und Hindernissen so sicher wie Menschen zu bewegen vermögen, die Aufgaben selbstständig ausführen, mit Menschen einen Wohnraum teilen und mit ihnen zusammenarbeiten.
    Dieses knappe Resümee erhellt bereits, warum die Entwicklung zweibeiniger Gehmaschinen erst viel später gelang, als es vor anderthalb Jahrhunderten erwartet wurde. Das zentrale Problem ist statischer Natur. Schon Paley hatte darauf hingewiesen, dass geringfügige Störungen genügen, um einen unbewegten hohen Körper mit kleiner Standfläche ins Ungleichgewicht und damit zu Fall zu bringen; bei bewegten Körpern ist dieses Risiko noch deutlich größer. Eine zweibeinige Gehmaschine in die Lage zu versetzen, statische Störungen zu registrieren und auf

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