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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edo Popovic
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Er zeigte Milinovi ć die Banknote.
    Zwanzig Euro, antwortete dieser verunsichert.
    Zwanzig Euro, sagte Gärtner, und welchen Wert haben zwanzig Euro?
    Ich verstehe nicht, sagte Milinovi ć .
    Wie hoch ist der Wert des Wertes von zwanzig Euro?, erläuterte Gärtner.
    Ich verstehe es auch weiterhin nicht, sagte Milinovi ć . Das, was Sie sagen, ist völlig unverständlich.
    Eigentlich bist du nicht besonders clever. Nur weil du etwas nicht verstehst, meinst du gleich, es sei unverständlich. Ich versuch es mal so: Nehmen wir an, dass ihr Bonzen, die ihr über alles und alle entscheidet, unter euch vereinbart habt, dass die Arbeitsstunde einer Schneiderin, die Anzüge näht, ungefähr zwei Euro wert ist. Können wir uns darauf einigen?
    Milinovi ć nickte mit dem Kopf. Vor dem Schuppen hörte man Schritte, und ein Kopf spähte hinein:
    Beeil dich, wir gehen ins Hanshan.
    Wartet noch, antwortete Gärtner, wir halten gerade eine Ökonomiestunde ab. Also, zehn Arbeitsstunden dieser Schneiderin haben einen Wert von zwanzig Euro, okay? In zehn Stunden näht sie einen Anzug, der nebenbei gesagt für tausend Euro verkauft wird. Abgesehen davon, in wessen Taschen diese Differenz landet, sind wir uns darüber einig, dass der Wert von zwanzig Euro die Produktion eines Anzugs deckt? Und wie hoch ist dein Stundenlohn? Ungefähr fünfhundert Euro, schätze ich mal. Kannst du, Freundchen, in einer Stunde fünfundzwanzig Anzüge nähen?
    Sie vergleichen Äpfel mit Birnen, sagte Milinovi ć .
    Lass mal die Äpfel und Birnen aus dem Spiel, die wachsen völlig problemlos nebeneinander im Obstgarten, oder sie liegen zusammen in einer Obstschale. Das Durcheinander befindet sich in deinem Kopf. Das Pro-
blem besteht darin, dass du und deinesgleichen euch eingebildet habt, dass eure Klugscheißerei mehr wert ist als die Arbeit, und damit kommt ihr durch bei euch in der Holding und in der Welt allgemein. Hochstapler und Halunken von deiner Sorte haben die Welt übernommen, meinst du nicht auch? Aber in diesem Moment ist nur wichtig, dass all das in dieser Baracke hier keine Bedeutung hat. Hier hat auch das Geld keinen Wert mehr. Du kannst es als Brennstoff verwenden, und wenn du willst, kannst du es auch essen.
    Milinovi ć sah ihn entsetzt an.
    Siehst du, wo der Haken ist: Ein Bonze von der anderen Seite der Mauer ist nicht zwingend auch auf dieser Seite ein Bonze. Die Symmetrie ist die Quelle eurer Gesetze, aber hier ist sie nicht gültig. Nicht im Geringsten. Dieses Plastik, er warf die Kreditkarten auf den Boden, öffnet dort alle Türen, damit kannst du alles erreichen, und hier kriegst du nicht einmal ein anständiges Mittagessen dafür. Nichts von dem, was du hast, was du weißt oder was du geben könntest, hat hier einen Wert. Auch du hast hier keinen Wert. Das heißt, dein Wert entspricht ungefähr dem Wert des kaputten Spatens da vorne in der Ecke. Und wenn ich das sage, mache ich dir schon ein Kompliment. Iss!
    Seit dieser Zeit bekam Milinovi ć Sand oder Schutt oder Zeitungspapier oder Müll oder abgenagte Knochen oder Blätter oder Sperrholzstückchen oder etwas Ähnliches sowie eine Scheibe Brot und ein Glas Wasser, mit dem er sich auch waschen musste. Seine Notdurft verrichtete er in einem Loch in der Ecke, das er selbst ausgehoben hatte. Die Tage und Nächte wechselten sich ab, es kam der Winter mit einem Teppich aus Eis auf dem Boden seines Kerkers, er bekam einige alte Militärdecken, die schrecklich stanken, und verbrachte darin eingehüllt den Winter.
    Er überlebte.
    Er erfuhr, was es bedeutet, wenn man von jemandes Gnade abhängig ist. Und der junge Mann gab sich alle Mühe, ihn wissen zu lassen, dass jede nächste Sekunde seines Lebens eine Gnade ist, die er ihm großzügig gewährte. Milinovi ć wusste am Ende nicht mehr, was schrecklicher ist, von der Gnade abhängig zu sein oder sie zu entbehren.
    Du bist dumm, wenn du hoffst, dass deine Leute dich retten, hatte ihm dieser grauenvolle junge Mann gesagt. Sie brauchen dich nicht, sie haben dich schon längst durch jemand anderen ersetzt, und sie werden auch den ersetzen, wenn sie ihn verbraucht oder wir ihn erledigt haben. Du hast einfach kein Glück, so sieht es aus.
    Er dachte über Selbstmord nach, der Gedanke daran kam ihm oft in den Sinn. Im Schuppen lagen einige alte Stricke herum, er hätte sich leicht an einem Balken
aufhängen können, doch seinen Entführern – so schien es – war es ganz egal, was mit ihm geschehen würde, ob er sich selbst oder sie ihn

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