Der Aufstand Der Ungenießbaren
Verbrauch beteiligt, muss verschwinden. Wir wollen da in keinem Fall mitmachen. Wir wollen weder verbrauchen noch verbraucht werden. Wir wollen weder fressen noch gefressen werden. Wir sind ungenießbar.
Die Ungenießbaren lebten in einem Gebäude ohne Strom, Wasser und Heizung in einem der westlichen Vororte, in der ehemaligen Eisenbahnerkolonie. Von den Dunklen Kapuzen erbten sie auch das Spiel »Binde die Wolke«. Sie spielten Fußball, Badminton oder Volleyball auf dem Platz der Börse, vor den Einkaufszentren, vor den Geschäftsgebäuden, Banken und Gerichten, und es gab immer so viele Spieler und Zuschauer, dass der Zugang zu diesen Gebäuden stundenlang versperrt war. Bis am Ende die Polizei auftauchte und alle mit Wasserwerfern auseinandertrieb. Oder die Spieler mussten sich vor der berittenen Polizei zurückziehen. Sie organisierten ein Picknick auf dem Platz des Heiligen Markus, direkt vor dem Regierungsgebäude der Holding, und vor dem einstigen Parlament, das inzwischen zur privaten Residenz des Milliardärs Ilija Teši ć , dem ITEX-Besitzer, geworden war. Und schon war die Polizei mit Hunden und Gummiknüppeln da.
Damals wurde die Mauer zu Ende gebaut. Innerhalb der Mauer, auf den Straßen und Plätzen und in den
wenigen noch vorhandenen öffentlichen Parks war es strengstens verboten, zu protestieren, zu betteln, sich sportlich zu betätigen, zu liegen, zu schlafen, unbefugt zu fotografieren, unbefugt Handel zu treiben, in den Mülltonnen und Containern herumzuwühlen, unbefugt zu spielen, zu singen, und generell die Passanten zu unterhalten. Die Strafe für derartige Vergehen bestand in Verbannung.
Die Dunklen Kapuzen konnten sich in der Holding nicht mehr ernähren und nicht mehr spielen. Sie konnten hier nicht mehr leben. Sie gingen fort, um jenseits der Mauer ihr Glück zu suchen. Und die Ungenießbaren wurden aus der Holding vertrieben. Sie setzten ihren Widerstand mit Blockaden vor den Eingängen zur Holding, zu den Warenlagern, Wasserwerken, Flughäfen und Kraftwerken fort. Die Polizei und die privaten Sicherheitsfirmen, die diese Orte zu schützen hatten, zögerten nicht, Tränengas, Gummigeschosse und Feuerwaffen einzusetzen.
Und dann schnappte sich Gärtner jenen Broker vor dem Hanshan und tötete ihn.
Später warf man Fraktalfrau vor, dass sie sich in einen Mörder verliebt hatte und dass sie die Hauptverantwortung für den Zerfall der Ungenießbaren trug.
Aber ich, so dachte sie, während sie an jenem Nachmittag auf der Terrasse des Hanshan saß und Gärtner anschaute, der ins Leere starrte, ich habe mich nicht in einen Mörder verliebt. Er war kein Mörder, als er zu uns stieß. Er war unruhig und vorlaut, ein wenig verrückt, das völlige Gegenteil zum ewig gesetzten und vorsichtigen Van ˇ ca, der ihr deshalb häufig auf die Nerven ging. Aber den Broker hatte sicher kein Mörder umgebracht. Ihn hatte ein leichtsinniger junger Mann getötet, der dadurch zum Mörder geworden war.
Was ist?, fragte Gärtner, dem bewusst wurde, dass sie ihn beobachtete.
Sie zuckte mit den Schultern.
Sag mir bloß nicht noch mal, dass ich verrückt bin, sagte er.
Doch, das tue ich, sagte sie, wir sind beide verrückt.
Warum meinst du das? Weil uns alle verlassen haben?
Nein, nicht deshalb. Ich denke über Folgendes nach: Wie kann ich sicher sein, dass ich in Wirklichkeit nicht hier mit dir zusammen bin, sondern in einem Zug sitze und mit mir selbst spreche, und die Menschen blicken mich an und denken: Schau dir nur diese arme verwirrte Frau dort an.
Quatsch, er winkte mit der Hand ab, aber sag mir nicht mehr, dass ich verrückt bin. Ich mag nicht, wenn Menschen sagen, dass jemand verrückt ist, und sich einbilden, etwas darüber zu wissen.
Elftes Kapitel
Die Neunte in der Steppe, eine Dame im Herkulessaal – Diktatoren und Dichter – Auf dem Damm – Armut
Ich hätte schon in der letzten Woche abreisen sollen, aber der Alte hält mich hier fest. Neben dem Frühstück haben wir begonnen, auch andere gemeinsame Rituale zu pflegen, etwa am frühen Abend am Donauufer oder durch die Weinberge an den Hängen spazieren zu gehen oder in seinem Zimmer Musik zu hören.
Mozart, Beethoven und Konsorten, erzählte einmal der Alte, lebten in der Stille. Die ganze Welt war damals von Stille eingehüllt. Und deshalb ist ihre Musik so, er suchte nach den richtigen Worten, so geschwätzig und laut. Als Gegenpol zur allgemeinen Stille. Mahler ist der letzte große Schwätzer. Die Bühnen waren zu klein für
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