Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edo Popovic
Vom Netzwerk:
haben die Gäste zurückgelassen oder einfach vergessen. Wissen Sie, ich bin ein einfacher Mann, ein Gastwirt, aber ich habe etwas von der Welt gesehen, und seinerzeit habe ich viel gelesen. Bis ich ungefähr fünfzig wurde. Dann haben die Bücher plötzlich aufgehört, zu mir zu sprechen. Ich las irgendein Buch, aber ich konnte nicht begreifen, warum es überhaupt geschrieben wurde. Es sagte mir nichts über die Welt, in der wir leben. So viele umsonst geschriebene Worte. Nehmen Sie zum Beispiel das Wort Pappel. Was sagt uns dieses Wort über den Baum dort? Nichts. Wenn Sie etwas über diesen Baum erfahren möchten, müssen Sie ihn beobachten, zusehen, wie er sich im Wind wiegt, wie er ausschlägt, blüht, die Blätter abwirft, Sie müssen ihn berühren, beschnuppern, ablecken, an ihm herumklopfen und darauf achten, wie es klingt, Sie verstehen schon, was ich meine. Und dann erst das Wurzelwerk unter der Erde, das wir gar nicht sehen. Deshalb habe ich aufgehört zu lesen. Ich habe mich dann der Musik zugewandt. Aber ich erzähle zu viel, ich langweile Sie sicher mit meinen dummen Altersgeschichten. Sie haben sicher Klügeres zu tun, als meinem Gequassel zuzuhören.
    Nein, gar nicht, ganz im Gegenteil, ich genieße Ihre Gesellschaft.
    Da müssen Sie wirklich verzweifelt sein. Aber wie viele Dinge verdienen wirklich, laut ausgesprochen zu werden? Ihretwegen die Luft aufzuwirbeln und andere Menschen zu beunruhigen. Meist reden wir, ohne etwas zu sagen. Wir blasen nur Luft aus.
    Wir saßen schweigend auf dem Damm neben dem Segelclub und sahen den Enten zu, wie sie sich um die Brotstücke stritten, die ihnen eine Frau und ein Kind von einem Holzsteg aus zuwarfen, wir beobachteten einen Lastkahn, der unter der Eisenbahnbrücke herfuhr, einen Trecker am anderen Ufer, die Allee aus Pappeln, deren Pollen durch die Luft segelten … Ich stellte mir den alten Mann vor, wie er die Enten berührt und ableckt, wie er jene Frau beschnuppert und an ihr herumklopft, oder noch besser, wie er das mit dem Kind macht. Was würde der Bauer dort sagen, wenn der Alte plötzlich beginnen würde, die Reifen abzulecken und an die Motorhaube seines Treckers zu klopfen?
    Was gibt es da zu lachen?, fragte der Alte, und ich begriff, dass sich meine Lippen zu einem Lächeln verzogen hatten.
    Was gibt es da zu lachen?, fragte der Richter des Holdinggerichts in Zagreb.
    Er hatte mir soeben zwanzig Jahre aufgebrummt, und als erschwerenden Umstand machte er geltend, dass der Angeklagte, ich zitiere, »aus einer Familie von gesellschaftlich zweifelhafter Stellung stammt, die ihm gegenüber keine besondere Sorge getragen hat, zum Beispiel hat sie ihm kein Studium im Ausland ermöglicht und Ähnliches«.
    An dieser Stelle lachte ich auf.
    Ich bitte den Angeklagten, dem Gericht Respekt zu zollen.
    Aber ich konnte mich nicht mehr kontrollieren. Was gab es da zu lachen? Alles war zum Lachen. Der vor Wut schäumende Richter, das, wovon er sprach, die Polizisten, die zu meiner Linken und zu meiner Rechten saßen, die Journalisten im Saal, dieser ganze Zirkus. All das kam mir lustig vor, aber auch widerlich – genauso wie die Gesetze und die Gerechtigkeit.
    In den Augen anderer Menschen war meine Familie sehr arm, nur Überfluss galt als Wohlstand. Wir hatten nur das, was wir brauchten. Die Wände unserer Wohnung waren leer. Der Staub hatte nichts, worauf er sich ab-
legen konnte. In unseren Kleiderschränken konnten sich kaum Motten einnisten. Um all unser Geschirr zu spülen, benötigte man sehr wenig Wasser und Spülmittel.
    Meine Mutter war Schneiderin in einer Bekleidungsfabrik. Mein Vater war bei der Spezialpolizei. In meiner frühen Kindheit sah ich ihn nicht oft. Er war ständig im Wald, wie er es ausdrückte. Auf einem Regalbrett über dem Fernseher stand ein Foto von ihm in Kriegsuniform. Meine Mutter erzählte oft von ihm. In jenen Jahren bestand mein Vater aus Worten und jenem Foto.
    Danach wurde ihm bei der Polizei gekündigt, und ab dieser Zeit war er ständig zu Hause. Ich brauchte Zeit, bis ich mich an ihn gewöhnt hatte. Er erzählte nicht viel und war kein Mann der großen Gesten, aber es war trotzdem angenehm mit ihm. Mit ihm gemeinsam Lebensmittel anschaffen oder auf die Ausflüge der Dunklen Kapuzen zum Berg Medvednica oder an die Seen im Park Maksimir gehen.
    Die Dunklen Kapuzen!
    Ich dachte damals, dass sich hinter diesem Namen eine geheime Bruderschaft von guten Superhelden verbirgt.
    Auch heute denke ich das noch.
    Und dann kamen

Weitere Kostenlose Bücher