Der Aufstand Der Ungenießbaren
eines Tages Polizisten an unsere Tür und sagten uns, dass mein Vater Selbstmord begangen habe. Ich weinte nicht. Als sie fort waren, holte ich eine Pappschachtel aus dem Schrank, in dem er mehrfarbige Stoffbänder, Fotos, Metallwappen mit Schwertern und Blitzen darauf und andere Kleinigkeiten aus dem Krieg aufbewahrte. Ich nahm das Foto in die Hand, das jahrelang auf dem Regalbrett über dem Fernseher gestanden hatte. Er hatte es von dort entfernt, als der Krieg zu Ende war. Was soll das hier, ich lebe ja, hatte er gesagt und das Foto in die Erinnerungsschachtel gelegt. Er sah darauf glücklich aus.
Auch einige Jahre später weinte ich nicht, als meine Mutter mit einem Nierenkarzinom im Sterben lag. Sie starb unter Schmerzen, zu Hause in ihrem Bett, sie konnte sich kein Bett auf einer Station und keine Spritzen gegen die Schmerzen leisten. Die einen weinen, während sie Janet Baker hören, die anderen, während sie die Schreie in den Fluren und Folterkammern des Untersuchungsgefängnisses hören, aber ich habe einfach kein Ventil, um meine Gefühle aus dem Körper fließen zu lassen. In jenem Jahr, als sie starb, begannen sie, die Mauer um Zagreb zu errichten, und ich lernte Fraktalfrau kennen.
Ist alles in Ordnung, fragte der Alte besorgt.
Auf dem schmalen Weg ging ein Mann in Uniform vorbei, er hatte irgendwelche Papiere in der Hand. Er war im Dienst. Er hatte eine Glatze, er war stark, er trug Uniform und die Papiere. Er hätte jemanden töten können, mit diesen Händen und diesen Papieren.
Alles in Ordnung, antwortete ich, ich bin nur ein wenig in die Vergangenheit abgeglitten.
Dort gibt es nichts zu finden, mein Sohn, alles spielt sich in diesem Moment ab.
Sie haben wahrscheinlich Recht. Und deshalb werde ich morgen weiterziehen.
Was haben Sie hier überhaupt gesucht?, fragte er.
Nichts, ich bin nur auf der Durchreise.
Ach, erzählen Sie mir doch nichts. Sie ähneln weder der Donau noch irgendeinem Schiff. Nur die sind hier auf der Durchreise.
Zwölftes Kapitel
Vidas Traum – Gespräch über Giftschlangen – Eine Herde von Skeletten – Die Wahrheit vernichtet nicht die Lüge
Vida hatte unruhig geschlafen, er hatte in seinem Schlafsack geschwitzt und sich hin und her gewälzt, dabei hatte er im Halbschlaf das Treiben und Hecheln in dem Gebüsch hinter seinem Zelt gehört, ein entferntes Kreischen, das Bellen eines Fuchses, und am frühen Morgen kroch er aus dem Zelt und erwartete mit Kaffee und einer Zigarette die Sonne. Mit der Sonne kam auch ein Rehkitz, das auf der gegenüberliegenden Wiesenseite plötzlich auftauchte, horchte und schnupperte und dann wieder im Dickicht verschwand.
Was hast du gehört und geschnuppert, was mir verborgen bleibt, fragte Vida sich selbst und starrte auf die Stelle, an der gerade noch das Kitz gestanden hatte.
Hinter dem Wald aus Orient-Hainbuchen, vom Nordhang her, ließ sich ein Kuckuck hören, jedes Mal von einer anderen Stelle, und dann erblickte er ihn, wie er den Waldrand entlangflog. Ein sehr eleganter Flug, alle Achtung, sagte er laut. Ganz unerwartet kam ihm nun sein nächtlicher Traum in den Sinn.
Er hockt am Ufer eines tiefen, klaren Baches, schöpft mit den Händen Wasser und trinkt. Die Schatten der Strudel gleiten über den Sandboden. Das dicht gewachsene, dunkelgrüne Flussgras biegt sich in der Strömung. Auf dem Kopfsteinpflaster hüstelt sein alter Golf im Leerlauf, die Handbremse ist angezogen. Er wird ausgehen – er wird nicht ausgehen – er wird ausgehen – er wird nicht ausgehen – er liebt mich – er liebt mich nicht. Am anderen Ufer steht ein einstöckiges, weiß gestrichenes Haus, und vor dem Haus steht eine Frau und starrt ihn mit giftigen Augen an. Ein feuerflammenfarbener Hund springt an den Zaun und bellt. Ein Posavatz-Laufhund. Was soll das, halt die Klappe, sagt er zu dem Hund. Es ist ein später Frühlingsnachmittag. Die Bergkette am Horizont sieht aus wie die Sturmwolken. Die Sonne steht in seinem Rücken, vor ihm am Osthimmel geht ein blasser Mond auf. Es ist Vollmond. Heute Nacht wird es Zirkus geben, denkt er.
In der Dämmerung fährt er in die Berge, breitet seinen Schlafsack in einem natürlichen Windschutz aus, baut sich eine Feuerstätte, zündet das Feuer an, brät
ein Stück Jagdwurst an einem Stock, öffnet eine Bierdose, prostet dem Mond und dem Wind in den nackten Baumkronen zu, und dann schläft er ein.
In der Morgendämmerung wird er von Hufgetrappel, Wiehern von Pferden und von den nervösen Rufen vor dem
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