Der Aufstand Der Ungenießbaren
BÜRGERSTEIG GESESSEN UND GELEGEN hat,
womit sie sich nach Artikel 13 des Gesetzes über die Ordnungswidrigkeiten gegen die öffentliche Ordnung und den Frieden strafbar gemacht hat,
und so weiter und so weiter.
Der Physiker Hugh Everett, ein Säufer und Kettenraucher, würde der Behauptung zustimmen, dass Fraktalfrau im selben Moment auf-der-Fahrbahn-auf-dem-Bürgersteig sitzen-liegen kann. Seine Viele-Welten-Theorie behandelt die unzähligen Varianten des Universums, wobei all das, was die Quantenmechanik als Möglichkeit voraussieht, tatsächlich auch geschieht – zumindest in einer der unendlich vielen Varianten des Universums. Solltet ihr durch einen Zufall in eurem Hotelzimmer anstelle von Buddhas Reden, dem Koran oder der Bibel das Buch Der Stoff, aus dem der Kosmos ist von Brian Green vorfinden, könnt ihr darin Folgendes über die Paralleluniversen von Everett lesen:
»Wenn eine Wellenfunktion sagt, dass ein Elektron hier, dort und da drüben sein kann, findet in einem Universum eine Version von Ihnen es hier; in einem anderen Universum entdeckt eine andere Kopie von Ihnen das Elektron dort; und in einem dritten Universum stößt eine weitere Version von Ihnen da drüben auf das Elektron. Die Folge von Beobachtungen, die wir alle von
einer Sekunde zur anderen machen, spiegelt also eine Wirklichkeit wider, die nur in einem Teil dieses riesi-
gen, unendlichen Netzwerks von Universen stattfindet. In den anderen Universen leben lauter Kopien von Ihnen, mir und allen anderen, die in dem betreffenden Universum, in dem bestimmte Beobachtungen zu bestimmten Ergebnissen geführt haben, noch am Leben sind.«
In einem Universum lest ihr jetzt gerade diese Zeilen, in einem zweiten klettert ihr auf den Eisfelsen von
Cerro Torre und betet zu Gott, er möge den Orkanwind beschwichtigen, und in einem dritten seid ihr ein Zen-Mönch. Ihr lauft mit leeren Händen und habt eine Spitzhacke in den Händen. Ihr lauft zu Fuß und reitet dabei auf dem Rücken eines Stiers. Ihr überschreitet eine Brücke, und siehe da, nicht das Wasser fließt, sondern die Brücke.
Und so weiter.
In einem ihrer Universen, viele Regenschauer, Windböen, Frostnächte und Nachmittage nach jenem Urteil, saß Fraktalfrau mit Gärtner auf der Terrasse des Teehauses Hanshan. Die Ungenießbaren waren inzwischen auseinandergefallen, Van ˇ ca war im Gefängnis gelandet, und die beiden lebten schon seit einiger Zeit in einem verlassenen Haus unter der Südmauer.
Du bist völlig verrückt, sagte sie vorwurfsvoll, warum hast du ihn getötet?
Sie ist jetzt Anfang dreißig, hat müde Augen, die schon viel gesehen haben, sie ist schön. Ihr Vorwurf bezieht sich auf die Liquidierung eines jungen Mannes, der – so verteidigte sich Gärtner – einen Geländewagen von Porsche gefahren und sich auch sonst wie ein beschissener, supererfolgreicher Manager verhalten hatte. Doch es stellte sich heraus, dass der Typ eigentlich ein Priester war, viel mehr noch, des Kardinals persönlicher Sekretär und Schützling, und nun hatte sich die Sache unerwartet verkompliziert.
Er platzt hier völlig gestylt herein, schnaubte Gärtner, wie all diese Geldsäcke. Und die Farbe der Brillenfassung war perfekt auf sein Hemd und seine Sneaker abgestimmt. Das hat meinen Blutdruck heftig nach oben getrieben. Und was hat der hier überhaupt zu suchen gehabt, meines Wissens nach gehen Priester nicht zu Nutten.
Fraktalfrau sah ihn voller Mitleid an.
Mit wessen Gehirn denkst du überhaupt, durch wessen Augen siehst du die Dinge? Werd endlich erwachsen, du bist wirklich groß genug, um erwachsen zu
werden. Natürlich gehen Priester zu Nutten, heiraten heimlich und haben Kinder. Und vögeln ihre Messdiener. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass du einen Menschen getötet hast, nur weil es dir nicht gepasst hat, wie er angezogen war.
Schon gut, in Ordnung, sagte er, da er begriff, dass er Blödsinn zusammengeredet hatte. Aber ich habe ihn nicht deshalb umgebracht.
Warum denn?
Ein Priester, ein Banker, ein Broker, wo ist da der Unterschied? Diese Typen haben Millionen von Menschen ins Unglück gestürzt, und es ist milde gesagt etwas ungewöhnlich, dass du jetzt so einen Aufstand um einen lausigen Pfaffen machst. Ich habe ihn abgeknallt, und ich werde ihm keine Träne nachweinen.
Ich weiß, dass du das nicht tun wirst, aber jetzt haben wir den Kardinal an der Backe. Darüber wird er nicht so leicht hinwegkommen.
Ist mir doch egal, soll er doch in Zukunft besser
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