Der Aufstand
sollte.
Als er sich gerade in den Wagen setzen und wegfahren wollte, hörte er hinter sich Schritte und eine Stimme: «
Psst!
Officer?»
Joel drehte sich um und sah eine weitere Version von Dec Maddon auf der Einfahrt auf sich zukommen. Der junge Mann wirkte etwa fünf oder sechs Jahre älter als sein Bruder. Er hatte dunkles Haar, war unrasiert und sah aus, als ob er regelmäßig Gewichte stemmte.
«Ich bin Cormac», flüsterte er.
«Joel.»
«Ich weiß, wer Sie sind. Dec hat von Ihnen gesprochen. Tut mir leid, dass mein Alter Sie rausgeschmissen hat. Er kann manchmal ein ziemliches Arschloch sein.»
«Wo ist Dec? Ich muss dringend mit ihm reden.»
«Deswegen bin ich Ihnen ja nachgelaufen. Dec ist in letzter Zeit ziemlich komisch.»
Joel schaute zum Haus hinauf. Das Licht im oberen Stock war wieder ausgegangen, aber womöglich beobachtete ihn noch immer jemand vom Fenster aus.
«Wir unterhalten uns besser im Auto weiter.» Er legte den Metallbehälter auf den Rücksitz und ließ Cormac auf der Beifahrerseite einsteigen.
«Okay, dann erzählen Sie mal. Inwiefern verhält Dec sich komisch?»
«Angefangen hat es, als die Kleine von nebenan gestorben ist.»
Joel starrte ihn an. «Kate Hawthorne? Tot? Seit wann?»
Cormac zuckte mit den Achseln. «Vor ein paar Tagen. Schrecklich, was? Ist einfach so dahingewelkt. Die Eltern sind entsprechend fertig. Hab die Hawthornes nie besonders gemocht, sind ziemlich hochnäsig, vor allem diese Gillian. Aber jetzt müssen sie einem einfach leidtun.»
«Und wo ist Dec gerade?»
«Bei einem Kumpel. Will nicht nach Hause kommen. Irgendwie komisch.»
«Haben Sie sich mit ihm getroffen?»
«Nein, nur telefoniert. Hat irgendwie krank geklungen. Bin hingefahren, aber er wollte mich nicht reinlassen.» Cormac runzelte die Stirn. «Er ist vielleicht ein kleiner Spinner, aber er ist mein Bruder, und ich mach mir Sorgen um ihn.»
«Sagen Sie mir, wo ich die Wohnung von diesem Kumpel finde.»
«Fahren Sie los, ich zeig’s Ihnen.»
Joel blickte auf den Behälter auf dem Rücksitz. «Ich denke, Sie bleiben besser hier, Cormac.»
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Kapitel 69
C ormac war nur widerwillig zurückgeblieben, aber seine Wegbeschreibung war gut gewesen, und so brauchte Joel nicht lange, bis er den Beton-Wohnblock in der Brewer’s Lane auf der anderen Seite von Wallingford fand. Joel stellte den Wagen an einer dunklen Stelle ein Stück vom Haus entfernt ab und ging die letzten Meter zu Fuß, das Behältnis mit dem Kreuz unter den Arm geklemmt. Was würde er wohl in der Wohnung von diesem Matt vorfinden? Feuertreppen führten zu den Balkonen vor den einzelnen Wohnungen hinauf. Joel stieg zwei Etagen hinauf und überprüfte die Nummern an den Wohnungstüren, bis er die richtige gefunden hatte.
Die hellblaue Tür zu Wohnung 22 stand einen Spalt weit offen. Joel klopfte nicht an. Er drückte gegen das abgegriffene Holz, betete, dass die Scharniere nicht quietschten, und schlüpfte lautlos hinein. Er fand sich in einem schmalen Gang wieder, der nur schwach von einer Lampe erhellt war, die durch die offene Tür am hinteren Ende des Flurs schien. Durch den Türspalt sah er einen grellen Teppich mit Blumenmuster, die Ecke eines mit Reißzwecken an die Wand gehefteten James-Bond-Posters und das Ende einer alten Couch, auf der eine Hand lag.
Jemand redete im Zimmer. Obwohl die Stimme kaum lauter war als ein Flüstern, erkannte Joel, dass es Dec war. Aber mit wem sprach er da?
Die Antwort kam eine Sekunde später, als Joel ein leises Kichern hörte.
Die Stimme eines Mädchens.
Joel wagte es kaum, Luft zu holen, um nicht mit dem Geräusch seines Atems auf sich aufmerksam zu machen. Langsam öffnete er einen der Verschlüsse des Kreuzbehälters und dann den zweiten und klappte schließlich den Deckel ein Stück weit auf.
Das genügte bereits, um ihm klarzumachen, was er wissen musste. Im stillen Raum brach plötzlich Chaos aus. Ein greller Aufschrei des Entsetzens drang an Joels Ohr, bevor er Dec rufen hörte: «Kate, was ist denn los?»
Joel klappte den Deckel zu und schloss damit das Kreuz wieder in seiner bleiernen Ummantelung ein. Er stürzte in das Zimmer und sah, wie Kate Hawthorne verzweifelt über den Teppich krabbelte und zu fliehen versuchte. Sie sprang aufs Fenster zu, doch er war schneller und versperrte ihr den Weg. Ihre Augen waren starr auf den Behälter gerichtet. Sie wich zurück wie ein in die Enge getriebener Leopard – verängstigt, aber deshalb nicht weniger
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